Grafik: Kristin Rabaschus

Kurswechsel: So gelingt die Verkehrswende (4) / von Jörg Staude
Im April 2021 könnte ein bundesweiter Plan vorliegen, wie der Fußverkehr strategisch gefördert werden kann. Nach Jahrzehnten der Diskriminierung hat sich das Zufußgehen jetzt auf die Socken gemacht.

19. Dezember 2020. Drei bis fünf Kilometer schaffen Fußgänger in einer Stunde. Sie sind die Langsamsten unter denen, die öffentlichen Raum nutzen, um von A nach B zu kommen. Ob das ein – makabrer – Grund ist, warum es im Fußverkehr verkehrspolitisch im sprichwörtlichen Schneckentempo vorangeht?

In dem Zusammenhang erinnert Roland Stimpel vom Lobbyverband FUSS e.V. gern daran, was in der 1937 in Kraft gesetzten „Verordnung über das Verhalten im Straßenverkehr“ (StVO) im Paragrafen 37 von den Fußgängern verlangt wird: „Fahrbahnen und andere nicht für den Fußgängerverkehr bestimmte Straßenteile sind auf dem kürzesten Wege quer zur Fahrtrichtung … zu überschreiten.“

Das Diktum gilt noch über 80 Jahre später. In der geltenden StVO ist in Paragraf 25 zu lesen: „Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen … zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten.“

Der Fußgängerparagraf war auch Forschern des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) ein Dorn im Auge. Im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) hatte das Difu im September 2018, also vor über zwei Jahren, auf mehr als 50 Seiten „Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie“ vorgezeichnet.

Strenggenommen, schrieben die Forscher, sehe das deutsche Straßenverkehrsrecht „keine explizite Bevorzugung“ eines Verkehrsmittels vor. Als vorrangig in der StVO gelte aber die „Flüssigkeit des Verkehrs“ – und so kritisierten die Difu-Leute ebenfalls den „Zügig“-und-„quer“-Paragrafen, allerdings ohne auf seinen zweifelhaften Ursprung zu verweisen.

Wer wissen will, warum in Deutschland der Fußverkehr diskriminiert wird und was geändert werden müsste, wird in den Difu-„Grundzügen“ an vielen Stellen fündig. Tatsächlich aber schmort die Studie in der Schublade. Seit ihrer Veröffentlichung im Oktober 2018 sind die „Grundzüge“, abgesehen von kleineren Korrekturen, „nicht grundlegend inhaltlich weiterentwickelt worden“, räumt die zuständige UBA-Fachgebietsleiterin Katrin Dziekan ein.

Überfällige Fußverkehrsstrategie

Untergegangen ist die Idee von einer nationalen Fußverkehrsstrategie aber nicht. Mitte Oktober 2020 beschloss die Verkehrsministerkonferenz, nein: sie bat die Bundesregierung, im Frühjahr 2021 einen Bericht vorzulegen – und jetzt geht es wörtlich weiter – „hinsichtlich der Konzeption einer systematischen und mit Ländern, Kommunen, Forschung und Verbänden intensiv und frühzeitig abzustimmenden Fußverkehrsförderung, einer Fußverkehrsstrategie, einer Anpassung des Rechtsrahmens und der Förderbedingungen im Hinblick auf die Sicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs“.

Für Roland Stimpel ist eine Fußverkehrsstrategie überfällig. Jeder fünfte Weg in Deutschland werde rein zu Fuß zurückgelegt, mehr als mit Fahrrad, Bahn oder Bus, sagt er. „Der Bund kann und muss hier wichtige Meilensteine setzen.“ Wie sehr auf diese Weise eine zuvor vernachlässigte Verkehrsart gefördert werden könnte, haben ihm die seit 2002 aufgelegten Nationalen Radverkehrspläne gezeigt.

Auch wenn in Deutschland die Kommunen für den Fußverkehr zuständig sind, hält UBA-Expertin Dziekan eine Unterstützung durch Bund und Länder für notwendig, um den kommunalen Akteuren den Rücken zu stärken und die Bedeutung des Zufußgehens ins Bewusstsein aller zu rücken.

„Das kann in Form einer nationalen Strategie festgeschrieben werden“, sagt sie und verweist ebenfalls auf positive Wirkungen der Radverkehrsstrategien, aber auch auf gute Erfahrungen, die Österreich, einige skandinavische Länder und Großbritannien mit nationalen Fußverkehrsplänen gemacht haben.

„Es geht um Richtungsentscheidungen“

Auch für den Thinktank Agora Verkehrswende kommt das Zufußgehen schon viel zu lange zu kurz. „Mit einer nationalen Fußverkehrsstrategie kann der Bund zeigen, dass sich dies ändern soll“, sagt Wolfgang Aichinger, Projektleiter für städtische Mobilität. „Länder und Kommunen werden so motiviert und unterstützt, den Fußverkehr konkret vor Ort zu fördern.“

Während jede zehnte Autofahrt in Deutschland kürzer als ein Kilometer ist, ging vielerorts der Fußverkehr zurück, kritisiert Aichinger. „Diesen Trend gilt es umzudrehen, für mehr Lebensqualität, aber auch aus Sicht des Klimaschutzes.“

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, braucht es in Deutschland eine deutliche Verlagerung von Pkw-Fahrleistung auf Schiene, öffentliche Verkehrsmittel sowie Rad- und Fußverkehr. Nach den Vorstellungen des Thinktanks muss der Pkw-Verkehr bis 2050 um mehr als ein Drittel zurückgehen und der Fußverkehr im selben Zeitraum um mehr als ein Viertel zunehmen.

„Da sich Menschen und Fahrzeuge in der Regel den gleichen Straßenraum teilen, sind hier Richtungsentscheidungen gefragt: Vieles, was Fußverkehr fördert, bedeutet eine Zurücknahme der Dominanz des Autoverkehrs, sei es beim Parken oder der Geschwindigkeit innerorts“, betont Mobilitätsexperte Aichinger. Ohne einen Paradigmenwechsel im Straßenverkehr würden sich nur schwerlich mehr Menschen für das Gehen begeistern lassen.

Dazu sollte aus Sicht der Agora-Experten das Leitbild der „Stadt der kurzen Wege“ verbindlich werden. Ein eigenes Förderprogramm sollte dabei helfen, die autogerechten Stadträume, die viele deutsche Kommunen noch prägen, umzubauen. Dazu sollten auch Bundesstraßen gehören, die heute noch ganze Stadtviertel zerschneiden.

Klare Zuständigkeiten und eigenes Personal

Das Umweltbundesamt formuliert hier etwas vorsichtiger. Eine nationale Fußverkehrsstrategie müsste aus Sicht der Behörde verbindliche Ziele festlegen und dann Handlungsfelder und Maßnahmen des Bundes und der Länder aufzeigen. Dabei seien Themen wie Sicherheit, Barrierefreiheit und Aufenthaltsqualität von Bedeutung, um den Fußverkehr zu stärken, betont Dziekan.

„Eine ernst gemeinte, aktive Fußverkehrspolitik braucht eine institutionelle Verankerung, klare Zuständigkeiten und mehr personelle Ressourcen. Auf allen föderalen Ebenen muss die Zuständigkeit für den Fußverkehr klar geregelt sein“, sagt die UBA-Expertin und hebt Städte wie Leipzig und Hamburg hervor, die über eigene Fußverkehrsbeauftragte verfügen.

Dziekan plädiert auch dafür, eine Fußverkehrsakademie zu gründen – analog und in Kombination mit der bestehenden Fahrradakademie. „Das wäre ein wichtiger Schritt, um Kommunen und Planer:innen durch Fortbildung, Schulung und Vernetzung zu unterstützen. Darüber hinaus könnte ein ‚Bund-Länder-Arbeitskreis Fußverkehr‘ die Aktivitäten verschiedener Ressorts und Länder koordinieren.“

Roland Stimpel vom FUSS e.V. würde natürlich gern die immer noch wörtlichen Formulierungen aus der Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung von 1937 streichen. Wichtig ist ihm ein fußverkehrsgerechtes Fahrzeugtempo. „Das heißt innerorts Tempo 30 als Regel und Tempo 50 als Ausnahme. Gehwege verdienen besonderen rechtlichen Schutz, etwa durch hohe Bußgelder für Falschparker und Gehweg-Befahrer“, betont er. Ziel müsse sein, dem Fußverkehr ein eigenes, in Fläche und Qualität hochwertiges, dichtes, sicheres und möglichst selten unterbrochenes Wegenetz zu schaffen.

Wie Dziekan geht es auch Stimpel um Know-how und Personal. „In Wissenschaft und Forschung kam Fußverkehr lange kaum vor“, sagt er. „Es gibt bis heute keine Professur für diese wichtige, planerisch besonders anspruchsvolle Disziplin. Hier kann der Bund Forschung betreiben und fördern, etwa über die Bundesanstalt für Straßenwesen.“

Mehr Platz für nachhaltigen Verkehr

Für Anke Borcherding vom Verkehrswendebüro des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zeigt sich in der Coronakrise besonders deutlich, dass die Politik zwei Probleme zugleich lösen muss. „Die nachhaltigen Verkehrsmittel Fuß- und Radverkehr brauchen mehr Platz und der öffentliche Nahverkehr muss zur Modernisierung gezwungen werden“, betont die Stadtverkehrsexpertin. „Sonst kann man die Verkehrswende endgültig vergessen.“

Wie zu hören ist, scheint die Erarbeitung einer nationalen Strategie für den nachhaltigen Fußverkehr nun tatsächlich voranzukommen. Im kommenden Frühjahr soll sie vorliegen. Der Termin der nächsten Verkehrsministerkonferenz steht jedenfalls fest: Mitte April 2021. Kein halbes Jahr mehr Zeit. Da dürfte auch ein straffes Fußgängertempo ausreichen.

Kurswechsel: So gelingt die Verkehrswende

Der Verkehr erreicht seine Klimaziele nicht – in fast 30 Jahren sind die CO2-Emissionen des Sektors um kaum ein Prozent gesunken. Die Verkehrswende braucht es aber auch, damit Städte mehr Lebensqualität gewinnen und die Belastungen durch Lärm und Schadstoffe sinken. Klimareporter° stärkt deshalb – in Kooperation mit dem Verkehrswendebüro des Wissenschaftszentrums Berlin – den Fokus auf Verkehrsthemen und berichtet in einer Serie über Hemmnisse bei der Verkehrswende und über Lösungen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Mobilität.

Quelle: https://www.klimareporter.de/verkehr/foerderer-des-fussverkehrs-machen-sich-auf-die-socken

Ein Beitrag von Andreas Knie, Franziska Zehl und Patrick Weber
(in Zusammenarbeit mit dem infas Institut)

Die Vermessung der Mobilität in der Pandemie

Die neusten Ergebnisse der zweiten Welle im Vorhaben MOBICOR zeigen, dass das Verkehrsvolumen im Oktober nur unwesentlich das vom Mai 2020 übersteigt. Es ist also weiterhin keine Steigerung des Verkehrsaufkommens in Richtung Normal-Niveau zu erkennen. Dies ist für das Klima eine gute Nachricht. Die Verkehrswende im Sinne einer Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in Richtung anderer Verkehrsmittel kommt allerdings ins Stocken. Besonders kritisch entwickelt sich die Rolle des öffentlichen Fern- und Nahverkehrs. Seine Marktanteile bleiben im Herbst trotz der kompletten Wiederaufnahme des Schulbetriebes (zum Vergleich: im Mai startete der Schulunterricht erst Mitte des Monats) hinter dem ÖV-Anteil vom Referenz-Oktober 2017 zurück. Und noch viel gravierender: Der ÖV verliert möglichweise dauerhaft wichtige Kundengruppen durch Homeoffice sowie durch Verlagerungen aufs Auto und aufs Fahrrad.

Mit Vorliegen der zweiten Befragungswelle, die im Oktober kurz vor dem bundesweiten Teil-Lockdown erhoben wurde, können Verkehr und Mobilität zu zwei Zeitpunkten innerhalb der Corona-Pandemie gegenübergestellt werden, in denen vergleichbare Bedingungen für den öffentlichen Bewegungsraum galten. Die zweite Befragung ruht auf 1.151 Fällen und erhebt eine für Deutschland repräsentative Aussagekraft. Drei zentrale Aussagen kennzeichnen ihre Ergebnisse.

1. Das Auto ist nach wie vor das beliebteste Verkehrsmittel; es wird bundesweit für den Großteil aller Wege genutzt und mit ihm werden auch weiterhin die meisten Kilometer absolviert, aber: es gibt entgegen allgemeiner Befürchtungen auch keinen „Run“ auf das Auto. Lediglich ein Prozent der Befragten gab im Oktober an, die Anschaffung eines (weiteren) PKW zu erwägen.

2. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr hat zwar seine Stammgäste wieder zurück, verliert aber die „Wahlfreien“. In Corona-Zeiten nutzen nur noch die Menschen den öffentlichen Verkehr, die keine Alternative haben: es fehlen die Touristen, die Pendler und die „Multimodalen“. Die Anbieter von Bussen und Bahnen büßen damit entscheidende Kundengruppen ein: Pendler reduzieren ihre Wege und die „Wahlfreien“ nutzen mehr die Füße, das Fahrrad und auch das Auto. Wer also gegenüber Bussen und Bahnen Alternativen besitzt, nutzt diese auch.

3. Insgesamt haben Verkehrsaufkommen und -leistung im Oktober nur leicht zugenommen und liegen noch deutlich unter den Werten des Corona-freien Oktobers 2017. Im Schnitt werden im Oktober aber pro Person und Tag 2,6 Wege absolviert, im Frühjahr waren es noch 2,4 Wege. Dadurch liegt die hochgerechnete tägliche Verkehrsleistung im Herbst 2020 bei 2,67 Milliarden Personenkilometern, während im Mai pro Tag rund 2,35 Milliarden Personenkilometern zurückgelegt wurden. Allerdings absolvierten die Menschen im Corona-Mai noch durchschnittlich 34 km täglich pro Person, im Herbst 2020 sind es nur noch 31 km. Auch sind die Befragten im Oktober dieses Jahres im Schnitt etwas kürzer unterwegs (72 Minuten) als im Frühjahr (75 Minuten). Im Vergleich zur eher moderat gestiegenen täglichen Verkehrsleistung hat sich im Vergleich zum Mai 2020 am Verkehrsaufkommen noch weniger geändert – dieses lag im Frühjahr bei rund 170 Millionen Wegen pro Tag, im Oktober bei täglich 182 Millionen Wegen.

Der Modalsplit im Überblick:

Grafik: WZB (2020): Mobilitätsreport 03, Bonn

Zwar ist alles nach wie vor sehr gedämpft, aber ein Blick auf den abgebildeten Modal Split macht deutlich, dass der Oktober gegenüber dem Monat Mai eine langsame „Normalisierung“ zeigt, denn die Nutzung der aktiven Verkehrsmittel Füße und Fahrrad ist wieder etwas rückläufig; der MIV bekommt im Corona-Herbst nochmals neuen Schwung und der ÖV kann 2 Prozentpunkte im Vergleich zum Frühjahr diesen Jahres aufholen.

Insgesamt zeigt sich, dass zwischen Mai und Oktober 2020 der Verkehr nicht wesentlich zugenommen hat.

Mit seinen täglich 182 Millionen Wegen und rund 2,67 Milliarden Personenkilometern, nimmt der Verkehr im Corona-Oktober erst rund 71 Prozent des täglichen Verkehrsaufkommens und knapp 83 Prozent der täglichen Verkehrsleistung im Normal-Jahr 2017 ein. Dies ist sicherlich für die C02 Emissionen ein gutes Zeichen und es scheint tatsächlich so, dass sich auch im Einsparen von Wegen erste Routinen bilden. Verzichtet bzw. deutlich reduziert haben die Menschen auch ihre Urlaubsfahrten, die aber mutmaßlich wieder zunehmen, wenn die Restriktionen aufgehoben werden.

Die Bedeutung des Homeoffice scheint sich dagegen zu stabilisieren und dürfte auch in der Zeit nach der Pandemie Relevanz behalten. Im Oktober arbeiten immer noch 19 Prozent der erwerbstätigen Befragten überwiegend oder ganz von zu Hause. Im Durchschnitt verbrachte dieses Klientel 3,3 Tage pro Woche am heimischen Arbeitsplatz, so dass nur an 1,7 Tagen pro Woche der Weg zur Arbeitsstätte getätigt werden musste. Konkret gehören 23 Prozent der befragten Stadtbevölkerung und 13 Prozent der Menschen in ländlichen Räumen zur Gruppe der überwiegend im Homeoffice Arbeitenden.

Als besonders kritisch im Sinne der Verkehrswende ist aber nach wie vor der geringe Anteil des öffentlichen Verkehrs anzusehen. Obwohl sich das Berufsleben sowie das Schul- und Ausbildungswesen im Oktober wieder normalisierte – der Schulbetrieb mit Präsenzbetrieb lief erst wieder Mitte Mai langsam hoch – liegt der ÖV im Herbst 2020 weiter hinter seinem Anteil im Corona-freien Oktober 2017. Es scheint sogar, dass ein genereller Bedeutungsverlust zu konstatieren ist. Die Zahl der Menschen, die nie den ÖPNV nutzt, ist von 48 Prozent im Mai 2020 auf 52 Prozent im Oktober gestiegen. Beim Fernverkehr sieht dies noch bedrohlicher aus. Rund 67 Prozent der Menschen benutzten diesen im Oktober in keinem Fall, im Mai betrug dieser Wert noch 58 Prozent.

Der öffentliche Verkehr verliert vor allen Dingen bei den im Homeoffice Arbeitenden.

Knapp die Hälfte der hier Arbeitenden ist auf das Fahrrad als Hauptverkehrsmittel umgestiegen sowie 24 Prozent aufs Auto. Der ÖPNV verliert vor allen Dingen bei multimodalen Menschen an Bedeutung, die im Alltag ganz unterschiedliche Verkehrsmittel nutzten und hierbei auf den ÖV verzichteten.

Mobilitätssegmente nach üblicher Verkehrsmittelnutzung
Mai 2020
Oktober 2020
Wenig Mobile
nutzen kein Verkehrsmittel mindestens wöchentlich
6% 5%
Fahrrad-Orientierte
nutzen das Fahrrad täglich oder wöchentlich und alle übrigen Verkehrsmittel seltener
15% 13%
ÖPNV-Orientierte ohne PKW-Führerschein
nutzen den ÖPNV täglich oder wöchentlich, andere Angebote seltener und haben keinen PKW-Führerschein
4% 4%
ÖPNV-Orientierte mit PKW-Führerschein
nutzen den ÖPNV täglich oder wöchentlich, andere Angebote seltener und besitzen einen PKW-Führerschein
4% 4%
Täglich PKW-Orientierte
nutzen den PKW täglich, andere Angebote seltener
43% 48%
Seltener PKW-Orientierte
nutzen den PKW wöchentlich, andere Angebote seltener
12% 11%
Mischnutzer*innen
nutzen verschiedene Verkehrsmittel täglich oder wöchentlich
8% 7%
Regelmäßige Vielfachnutzer*innen
nutzen sowohl Auto als auch Fahrrad und ÖPNV mindestens wöchentlich
8% 7%

Zusammenfassend kann man daher konstatieren, dass es dem ÖV im Nah- und Fernverkehr nur noch gelingt das Publikum zu gewinnen, das partout keine Alternativen besitzt. Mehrheitlich sind dies Menschen die im Präsenzbetrieb arbeiten, über keinen Führerschein und ein eher geringes Einkommen verfügen. So beträgt der Anteil des ÖV am Modal Split unter Personen mit einem Einkommen bis 1.300 € 15 Prozent, unter Personen die mehr als 2.200 € im Monat verdienen, hingegen nur 3 Prozent. Die früheren Kundengruppen arbeiten jetzt mehr zu Hause, steigen aufs Fahrrad oder auf das Auto um. Es muss kritisch hinterfragt werden, ob die bislang unveränderten Angebote des ÖV daher geeignet sind, langfristig das verloren gegangene Publikum wieder zurückzugewinnen. Die unter Stadtbewohner*innen geführten qualitativen Interviews belegen diesen Eindruck gerade bei den „multimodalen Verkehrsteilnehmern“: Im Konzert der vielfältigen Verkehrsmittel haben Busse und Bahnen deutlich gegenüber privaten oder öffentlichen Autos, des Fahrrades sowie auch der Füße verloren. Da zur Erreichung der Pariser Klimaziele alle Szenarien mit einer Verdopplung des Anteils des Öffentlichen Verkehrs – ausgehend vom letzten Jahr – rechnen, sind damit wesentliche Politikziele so lange in weite Ferne gerückt, so lange der ÖV nicht an Attraktivität gewinnt.

Vom gestiegenen Anteil an täglich PKW-Orientierten abgesehen, gibt es aber auch keinen „Run“ auf Autohäuser und -händler. Die Zahl der Neuzulassungen lag im Sommer 2020 mehr als 40 Prozent unterhalb des Vorjahres. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Befragungen wider: Nur rund 1 Prozent der Befragten überlegt ein (weiteres) Auto anzuschaffen. Ein weiteres Prozent nutzt häufiger als noch vor der Pandemie einen Mietwagen; ebenfalls 1 Prozent hat sich seit Beginn der Corona-Krise bei einem Car- oder Ridesharing-Anbieter angemeldet. Die Überlegungen zur Anschaffung eines Autos betreffen nicht nur PKW-lose Personen – allerdings überlegen auch nur 3 Prozent der Menschen die bereits ein oder mehrere Autos besitzen, ihren privaten Fuhrpark zu erweitern. Insgesamt werden daher nicht mehr Autos gekauft und auch die Zahl der Carsharing- und Mietwagennutzungen steigt bundesweit gesehen nur gering an.

Das Ergebnis der zweiten Befragungswelle lautet schlicht: diejenigen, die bereits ein Auto haben, nutzen dieses jetzt häufiger.

Insgesamt ergibt sich daher vor dem Hintergrund des Zieles der Verkehrswende ein bundesweit eher ambivalentes Bild ab: die Verkehrsaktivitäten sind deutlich reduzierter, die Nutzung von Flugzeugen liegt auch im Herbst nur bei einem Fünftel des Vorjahres, wie insgesamt touristische Reisen noch kaum wieder in Gang gekommen sind. Der Anteil der Menschen, die im Homeoffice arbeiten bleibt hoch und führt ebenfalls zu einer Reduktion der Verkehrsbewegungen. Im Alltagsverkehr dominiert bundesweit weiterhin das Auto, dessen Anteil am Modal Split im Vergleich zum Frühjahr 2020 und dem Corona-freien Oktober 2017 gestiegen ist. Kritisch ist die Rolle des öffentlichen Verkehrs zu betrachten. Es sind nicht nur die weiter sehr niedrigen Nutzungszahlen die bedenklich stimmen, sondern die schwindende Bedeutung von Bussen und Bahnen für den Alltag der Menschen insgesamt. Es scheint sich daher abzuzeichnen, dass die Corona Pandemie auch hier nur etwas deutlich ins Licht rückt, das vorher bereits latent vorhanden war: diejenigen, die zum existierenden Angebot eine Alternative haben, nutzen diese auch. Die Verkehrswende läuft daher am öffentlichen Nah- und Fernverkehr faktisch „vorbei“.

Methode & Design – Was ist MOBICOR?

  • repräsentative Befragungsdaten die im Design der Studie Mobilität
    in Deutschland (MiD) erhoben wurden (zwei Wellen: Mai und Oktober 2020)
  • die Online & per Telefon gewonnenen Daten von über 16-jährigen Personen
    liefern Informationen zur Alltags- und Stichtagsmobilität
  • Vergleich der Ergebnisse mit dem Verkehr im Corona-freien Referenzjahr
    2017 (MiD)
  • Ergänzung der quantitativen Daten ….

… um Informationen aus qualitativen Interviewerhebungen (Nuts One) die Einblicke in die Hintergründe der Corona-bedingten Mobilitätsveränderungen geben

… um Track & Trace Daten die mit Hilfe der mobico-App (www.infas.de/mobico) kontinuierlich seit Anfang des Jahres gesammelt werden (individuelle Bewegungen und Verkehrsmittelnutzungen statt aggregierter Mobilfunkdaten)

Den vollständigen Bericht findet Ihr hier: Mobilitätsreport Ausgabe 3 (Dezember)

Foto: Draper Laboratory; restored by Adam Cuerden., Public domain, via Wikimedia Commons

Timo Daum, Sachbuchautor und Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung. Sein Buch „Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen“ ist gerade als Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen.

Passagiertransport zum Mond

Wir alle kennen die Astronauten, die mit der Apollo 11-Mission zum Mond geflogen sind, auch ihre Fahrzeuge – die Saturn-Rakete, das Kommandomodul und die Mondlandefähre – sind uns vertraut. Bloß: Wer ist eigentlich gefahren, wer saß am Steuer? Nur zu einem ganz geringen Teil die Astronauten selbst, lagen sie doch die meiste Zeit untätig in ihren engen Liegen und harrten der Dinge, die da kommen werden. Sie waren die meiste Zeit nur Passagiere auf ihrer eigenen Mondfahrt. Tauchte ein Problem auf, wandten sie sich hilfesuchend an die Erde: „Houston, wir haben ein Problem!“ Doch auch in der Kommandozentrale in der texanischen Hauptstadt war niemand, der tatsächlich gesteuert hätte. Die gesamte Reise war programmiert, „gefahren“ (oder „geflogen“?) ist also letztlich ein Algorithmus, ein (oder mehrere) miteinander verknüpfte Computerprogramme.

Die besten Programmiererinnen ihrer Zeit hatten das Programm geschrieben, das die drei Astronauten sicher zum Mond und wieder zurückbrachte. Eine von ihnen war Margaret Hamilton, die Leiterin einer Abteilung für Softwareentwicklung bei der NASA, die insbesondere für das Mondlandemodul verantwortlich war. Die Pionierin ihrer Branche trug später maßgeblich dazu bei, dass aus der Softwareentwicklung eine anerkannte Ingenieurswissenschaft wurde. Aus ihrer Zeit bei der NASA erzählt sie folgende Anekdote:

Meine Tochter Lauren (Kein Statement eines männlichen Ingenieurs hat wohl jemals so angefangen…) kam oft nachts und am Wochenende zu mir, wir arbeiteten Tag und Nacht. Sie spielte gern Astronautin, weil sie mich beobachtete, wenn wir bestimmte Simulationen ablaufen ließen. Einmal schaffte sie es, den Simulator zum Absturz zu bringen, und ich dachte: „Oh mein Gott, wie ist das passiert?“ Sie hatte mitten im Flug die Taste für das Startvorbereitungsprogramm ausgewählt, was ein Astronaut niemals tun sollte. Die Leute von der NASA oder vom MIT sagten: „Das wird nie passieren, weil die Astronauten so gut ausgebildet sind.“ Nun, schon beim nächsten Flug ist genau das passiert. Danach sagten sie: „Ja, Margaret, du kannst Deine Code-Änderung einpflegen.“ Also ist es für die nächste Mission dort reingekommen.

Zurück zur Apollo 11-Mission: Hamiltons Insistieren erwies sich als goldrichtig, als am 20. Juli 1969 das Computersystem beim Landeanflug auf den Mond durch einen „1202 Alarm“ ankündigte, überlastet zu sein. Die Astronauten landeten dennoch auf dem Mond, anstatt den Anflug aufgrund von Computerproblemen abzubrechen. Hamilton war es gewesen, die eine Routine programmiert hatte, die im Falle eines solchen Alarms weniger wichtige Programmteile abschaltete, damit wichtige (wie das Anflug-Radar zum Rendezvous mit der Mondoberfläche) störungsfrei weiterlaufen konnten.

Die Mondmission war erfolgreich, weil die besten Leute gute Software geschrieben hatten. Man könnte also auch sagen, nicht ein Programm ist geflogen, sondern eine ganze Armada an Expertinnen und Spezialisten hatten den besten (Mond-)Fahrer gebaut.

Warum nicht auch auf der Erde?

Was bedeutet diese Anekdote für das autonome Fahren? Nun, erstens: Warum soll, was beim Mondflug funktioniert, nicht auch auf der Erde klappen? Zugegeben, es gibt weniger Verkehr auf dem Mond. Aber gerade durch den vielen Verkehr auf der Erde und mit Blick auf die Unfallstatistiken würde auch hier ein höheres Maß an Professionalität mit Sicherheit nicht schaden. Und zweitens: Das Beispiel soll uns die Augen öffnen für eine neue Perspektive auf das automatisierte Fahren, die Passagierperspektive: Warum sollten wir auf der Erde nicht auch den Anspruch anmelden, uns vom weltbesten Programm chauffieren zu lassen, das von den weltbesten Leuten programmiert worden ist?

Dabei ist es auch heute schon gar nicht so unüblich, dass wir uns in Situationen begeben, in denen wir unsere Souveränität abgeben und uns von einem programmierten System befördern lassen. Seid Ihr in letzter Zeit mal Aufzug gefahren? Dann habt Ihr Euch in ein vollautomatisiertes Verkehrsmittel begeben! Der Liftboy ist längst ersetzt durch einen Algorithmus, dessen Verhalten vom Hersteller vor-programmiert worden ist, und Ihr seid zu ohnmächtigen, ihrer Autonomie beraubten Passagieren geworden!

Auf teil- oder vollautomatisierte Systeme treffen wir auf Schritt und Tritt, im Bahnverkehr, im Flugverkehr, in vielen Bereichen ist der Trend zur Automatisierung und damit zur Einschränkung menschlicher Entscheidungsspielräume zu beobachten – moderne U-Bahnen, Shuttles und Teile des Bahnverkehrs funktionieren fahrerlos. Nutzen wir den öffentlichen Verkehr, begeben wir uns zudem wie selbstverständlich in die Obhut von Profis, niemand käme auf die Idee, den Ferienflieger oder die Regionalbahn selbst steuern zu wollen – das überlassen wir denjenigen, die das am besten können.

Auf der anderen Seite ist das Selbst-Steuern von PKW im öffentlichen Straßenraum – eben, weil es so gefährlich ist – verboten. Ihr habt richtig gelesen: Die Fahrerlaubnis, auch Führerschein genannt, ist eigentlich eine Ausnahme von der Regel, eine Sondergenehmigung, die nur unter bestimmten Bedingungen und an einen reduzierten Personenkreis ausgestellt wird, ganz wie beim Waffenschein auch. Die Selbstverständlichkeit mit der allerdings jeder eine solche Lizenz zum Fahren (und ab und an auch zum Töten) erwerben kann, ist nur ein weiterer Beleg für unsere autozentrierte Welt mit ihrer nicht hinterfragten Fahrerperspektive.

Die Dominanz der Fahrerperspektive

Die Vorstellung, uns von einem fahrerlosen Gefährt kutschieren zu lassen, kommt uns unheimlich vor? Dabei musste das Selbst-Fahren, wie auch viel später erst das Selbst-Tanken erst durchgeboxt werden, wie übrigens auch der Verbrenner-Antrieb. Vor der Jahrhundertwende gab es in den USA noch mehr elektrische als fossil betriebene Fahrzeuge – und auch noch mehr dampfgetriebene. Elektrische Fahrzeuge, die in der Anfangszeit in den USA die Nase vorn hatten, bekamen zunehmend ein schlechtes Image – zu zahm, zu sauber, zu clean, zu weibisch. Der Historiker Dan Albert: “Das Auto mit Verbrennungsmotor musste erst mühsam gepäppelt und großgezogen werden, bis es endlich mit seinen Schmiermitteln, Explosionen und Kolbenhub zum Auto für Männer wurde.“

Sind es nicht vielleicht gerade Männer, die sich das partout nicht vorstellen können und sich für die besten Fahrer halten, obwohl die meisten heute nicht einmal mehr die Führerscheinprüfung bestehen würden? Auto fahren mit den neuen Verbrennern begann Ende des vorletzten Jahrhunderts als todesverachtender Sport für die Superreichen. Zeitgleich wurde das Selbst-Fahren üblich, chauffiert werden zusehends als dekadent und verweichlicht diffamiert – die Fahrerperspektive begann sich durchzusetzen.

Auch für Filippo Marinetti, Futurist und Bewunderer Mussolinis war das Autofahren ein Akt der gelebten Souveränität, Menschenleben werden dabei riskiert – das eigene, aber auch das der Fußgänger und Radfahrerinnen, die Todesnähe zum Teil einer kathartischen Erfahrung gemacht. Der Autor Vasek spricht vom „Flow“ in den die narzisstische Fahrerpersönlichkeit regelmäßig gerät, der Fahrer nehme die „Perspektive des heroischen Subjekts, das von der Vorstellung ausgeht, alles im Griff zu haben“ ein. Der Autofahrer verkörpert so das Ayn Randsche Ideal des mutigen Unternehmers, der sich seiner Vision folgend unbeirrt auf den Weg macht, „nur seiner Vision folgend die Straße entlang“ bewegend. Und Peter Sloterdijk schließlich spricht vom „kinetischen Expressionismus“ – Verschwendung von fossiler Energie auf dem Altar der Geschwindigkeit. Kurz – die Fahrerperspektive ist eine wahnhafte Verirrung, eine Männerphantasie zwischen Militär und brotherhood.

Unsere automobile Welt ist beherrscht von der Fahrerperspektive, die Herrschenden sind die Selbst-Fahrer. Wer muss hinten sitzen? Die Kinder! Wer muss mit dem Beifahrersitz vorliebnehmen? Die Frau. Herr im Haus ist der pater familias. „Straßen werden von Männern gebaut und Frauen sterben auf ihnen.“ – zu dramatisch, das Statement der angehenden Wissenschaftlerin Sarah George in einem Blogbeitrag? Der Verkehrsgerichtstag brachte jüngst Zahlen, die die These untermauern: So sind 70 Prozent aller Todesopfer von Abbiegeunfällen Frauen. „Mobilitäts-Ungerechtigkeit“ nennt das die Verkehrsforscherin Mimi Sheller, die, schon lange bevor sich jemand an das Steuer setzt, implementiert und zementiert wird und durch strukturelle Benachteiligung gar zu einer „Ausbeutung der Immobilen durch die Mobilen“ führt, wie die SoziologInnen Boltanski und Chiapello zuspitzend anmerken. Die Aktivistin Janna Alljets schließlich bilanziert in einem Beitrag für LUX: „Während die toxische und hegemoniale Männlichkeit auf dem Prinzip des Stärkeren und damit auf Exklusivität basiert, muss es um Inklusivität und die Rücksichtnahme auf Schwächere und gesellschaftlich Benachteiligte gehen.“

Autonomes Fahren aus der Fahrerperspektive

Paradoxerweise wird selbst die Debatte um das autonome Fahren hierzulande von der Fahrerperspektive dominiert. Die Autokonzerne stecken immer mehr Technik in die Fahrzeuge, um dem Fahrer, an dessen privilegierter Position als Steuermann nicht gerüttelt wird, zu unterstützen. Die Verkehrswissenschaftler Andreas Knie und Weert Canzler diagnostizieren einen notorischen „Geräteblick“, „… Zukunft wird aus dem klassischen Fahrzeug heraus gedacht“. Es ginge ihnen gar nicht um automatisiertes Fahren, „im Kern soll der Fahrer doch der Souverän in seinem Gefährt bleiben. … Das tatsächlich automatische, also selbstfahrende Auto wird jedoch von den Herstellern selbst gar nicht proaktiv vorangetrieben.“

Beim autonomen Fahren dominiert das Bild des Privat-PKW, der es dem männlichen Fahrer und Besitzer erlaubt, auf der Autobahn Excel-Tabellen zu studieren und der temporär das Rasen der Technik überlässt, ohne dadurch in seiner Eigenschaft als Herrscher über Auto und Straße in Frage gestellt zu werden – so stellt sich die Autoindustrie das autonome Fahren vor, versucht dergestalt ihre klassische Klientel anzusprechen und ihr zu versichern, dass sie – trotz aller Technik – nach wie vor Herr im Haus bleibt. Auch die neuste Daimler S-Klasse hat diesbezüglich nichts Neues auf dem Kasten – das angekündigte autonome Fahren nach Stufe 3 im Stau ist nur ein müder Abklatsch von einstiger Vorreiterrolle bei der Einführung automobiler Innovationen.

Das Modell RoboTaxi

Die Digitalkonzerne, allen voran Google mit der Tochter Waymo, aber auch zunehmend chinesische Startups versuchen sich am sogenannten Robo-Taxi. Ihnen schwebt tatsächlich ein Verkehrsmittel vor, ein Auto vorrangig, aber nicht nur, das den Fahrer abschafft und ihn durch einen Algorithmus ersetzt: „Wir wollen keine besseren Autos bauen, wir wollen den besten Fahrer bauen“, sagt Waymo-CEO John Krafcik im Hinblick auf die gemeinsamen Anstrengungen seiner Firma, automatisierten, fahrerlosen Passagiertransport auf der Erde bzw. auf der Straße zu verwirklichen.

Und die Verwirklichung solcher Betriebe ist eher nicht 20 oder 30 Jahre, sondern deutlich weniger entfernt. Waymo hat seit Oktober 2018 einen Großversuch auf öffentlichen Straßen am Laufen, seit Oktober 2020 auch standardmäßig ohne Personal an Bord. Der Service kann über eine App gebucht werden, ist preislich an einer Uber-Fahrt orientiert. Trotz Millionen gefahrenen Kilometer kam es noch zu keinen schweren Unfällen – anders als bei Testläufen beim Konkurrenten Uber oder im Zusammenhang mit Teslas Autopilot.

Es sieht eher danach aus, als würde es Google gelingen, nach der besten Suchmaschine, der besten Kartennavigation auch den besten Taxifahrer zu programmieren und daraus ein weltweites Exportmodell zu machen.

Die Passagierperspektive

Diese Entwicklungen sollten uns Anlass geben, über automatisierten Personentransport neu nachzudenken. Denn: Ist das, was Waymo macht nicht weniger Konkurrenz zum ÖPNV, sondern im Gegenteil dessen Zukunft? Auch der Taxiservice mit Fahrerinnen, wie wir ihn kennen, ist schließlich Teil des ÖPNV. Warum nicht dafür sorgen, dass auch der fahrerlose Passagiertransport, autonome Shuttles und eine breite Palette weiterer fahrerloser Transportmittel Teil desselben wird?

Wir sollten uns nicht durch die Diskursmächtigkeit dieser oder jener Konzerne, dieser oder jener Leitbilder für den Verkehr der Zukunft, die eigene Vorstellungskraft nehmen lassen und mit Ablehnung der Autokonzern-Vision und der Digitalkonzern-Vision vom autonomen Fahren jede Perspektive auf teil-, hoch- oder vollautomatisierte Verkehrslösungen gleich mit erledigen.

Wir sollten die automobile Hochrüstungsvorstellung „autonomes Fahren“ ersetzen durch eine Perspektive auf öffentlichen fahrerlosen Passagiertransport.

Wie bei der Elektromobilität auch gilt es beim „autonomen Fahren“ ein Umdenken zu erreichen, weg von der reinen PKW-Antriebswende und weg vom immer weiter aufgerüsteten PKW gleichermaßen. Und die Perspektive auf intelligenten, ökologischen Kollektivtransport zu richten – und der kann nur elektrisch betrieben sein und eben auch zunehmend automatisiert.

Die Ära des Selber-Fahrens, der Fahrerperspektive geht zu Ende, auch die Tage der heißen, lärmenden, qualmenden Inkarnation im Verbrennungsmotor sind gezählt. Es gilt, im Geiste Margaret Hamiltons, die Passagierperspektive einzunehmen!

Der eingangs erwähnte Aufzug – ist das nicht ein Paradebeispiel für ein Verkehrsmittel, das beispielhaft barrierefrei ist, außerordentlich sicher, durchweg kostenlos, darüber hinaus ökologisch – kurz: autonomes Fahren in einer Art und Weise, die wir nur begrüßen können?


Quellen / Links

Albert, Dan: Are we there yet? New York 2019, S. 25.

Aljets, Janna: » Raum nehmen. Warum wir eine feministische Verkehrsplanung brauchen.« Zeitschrift Luxemburg, Mai 2020 (https://www.zeitschrift-luxemburg.de/raum-nehmen-warum-wir-eine-feministische-verkehrsplanung-brauchen)

Boltanski, Luc, Chiapello, Ève: »Inégaux face à la mobilité«, Projet, 2002/3 n° 271, S. 97-105.

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https://twitter.com/johnkrafcik

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