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Ein Gastbeitrag von Andreas Knie auf klimareporter.de, 17. Februar 2021
Zum Ende der Regierungskoalition nimmt die Verkehrspolitik doch noch Fahrt auf. Während die Reform der Personenbeförderung im Klein-Klein verharrt, könnte die Verordnung zum automatischen Fahren ein großer Wurf werden.
Das Jahr 2021 begann mit zwei verkehrspolitischen
Gesetzesinitiativen, die kaum noch zu erwarten waren. Das Kabinett
verabschiedete einen Gesetzentwurf zum autonomen Fahren, der in die Ressortabstimmung geht. Bundestag und Bundesrat debattierten die Novelle zum Personenbeförderungsgesetz (PBefG).
Zu der Novelle soll es kommende Woche eine Anhörung im
Verkehrsausschuss geben. Nach den vielen Pannen dieser
Regierungskoalition nimmt das Verkehrsministerium zum Schluss nochmals
im Sinne des Wortes Fahrt auf. Doch die Kleinteiligkeit der
Beförderungs-Branche droht die sich bietende Chance zu verstolpern.
Die beiden Reformvorhaben könnten in ihrem Gestaltungsanspruch
unterschiedlicher nicht sein: Die Novelle des
Personenbeförderungsgesetzes besteht vor allem aus dringenden
Reparaturarbeiten. Erstmals sollen Pooling-Dienste,
die Fahrwünsche auf digitalen Plattformen bündeln, legalisiert und
neben Taxis und Mietwagen zum dritten Bestandteil des öffentlichen
Verkehrsangebotes werden.
Bislang wurden Pooling-Dienste von Anbietern wie Clevershuttle, Moia,
Viavan oder Door2Door in der Regel über eine Experimentierklausel sehr
aufwendig und auch nur vorläufig genehmigt.
Diskutiert wird in der Branche – neben einer Reihe von
Änderungen wie der Abschaffung der Ortskundeprüfung – besonders heftig
die Frage nach dem Unterschied zwischen Taxi und Mietwagen. Sie wird im Gesetzestext weiterhin nicht wirklich geregelt.
Die Taxibranche hatte sich beschwert, dass Mietwagen-Anbieter ihre
Preise frei bestimmen könnten und die dafür auferlegte Rückkehrpflicht
zum Betriebssitz permanent unterlaufen wird. Mietwagen würden wie Taxis
einfach mitten in der Stadt auf Fahrgäste warten.
Daher bestehe ein ungleicher Wettbewerb zwischen den konventionellen
Taxis mit genehmigungspflichtigen Tarifen und den auf digitalen
Plattformen organisierten Mietwagen-Angeboten wie vom US-Konzern Uber,
die häufig viel günstiger sein könnten.
Dies hat bereits zu heftigen Verwerfungen geführt. Die Zahl der Taxis ist schon länger rückläufig und die Zahl der Mietwagenkonzessionen nimmt stetig zu. In Berlin beispielsweise stehen bereits 5.000 Mitfahrzeuge einer nur geringfügig größeren Zahl aktiver Taxis gegenüber. Das lässt sich im Stadtbild auch beobachten: Taxis werden zur Mangelware.
So bleiben private Autos übermächtig
Der Entwurf des neuen Personenbeförderungsgesetzes erlaubt nun
erstmals auch Taxis, ihre Tarife flexibler zu gestalten. Die
Rückkehrpflicht bleibt aber prinzipiell bestehen. Den Kommunen bleibt es
am Ende überlassen, diese Regel aufzuweichen und beispielsweise
Mietwagen-Anbietern verschiedene Betriebsstätten in einer Stadt zu
erlauben, in die die Wagen dann zurückkehren könnten.
Aber was für die Branche wirtschaftlich relevante Fragen sind, ist für die Kunden im Grunde völlig unverständlich. Leute, die mobil sind, nutzen in der Regel Smartphones, immer öfter auch zur Bestellung von Taxifahrten. Ob ein Taxi oder ein Mietwagen vorfährt, ist für Kunden ohne Belang, entscheidend sind Verfügbarkeit, Preis und Zahlungsmodalitäten.
Das bilden die Regeln des Gesetzgebers aber nicht ab. Sie tun so, als
sei man noch in einer analogen Welt. Die Frage ist doch: Was muss
eigentlich reguliert werden und gibt es noch Gründe, Taxi- und
Mietwagendienste zu trennen?
Entscheidend im Gesetz ist immer das „öffentliche Verkehrsinteresse“.
Sicher: Der Markt allein regelt im öffentlichen Raum nichts, aber auch
die staatliche Daseinsvorsorge, die dem öffentlichen Verkehrsinteresse maßgeblich zugrunde liegt, ist inhaltlich völlig unbestimmt.
Was ist eigentlich ein öffentliches Verkehrsinteresse? Die Branche
hat darauf keine Antwort. Sie streitet lieber in kleinlichen Debatten um
die Details der Regulierung. Bei Licht betrachtet kümmert sich die
Branche um etwas, was keine große Relevanz hat.
Denn im Verkehrsmarkt spielen Taxis und Mietwagen kaum eine Rolle.
Beispiel Berlin: Den rund 10.000 aktiven Taxi- und Mietwagen stehen 1,2
Millionen Pkw gegenüber. Noch krasser sieht das Verhältnis für ganz
Deutschland aus: Knapp 100.000 Taxis und Mietwagen existieren neben 48
Millionen Pkw.
Während sich also die Branche um Rückkehrpflicht und Tarifbindung
zankt, bleibt die Dominanz des privaten Autos übermächtig und lässt die
Märkte für diese Branche klein bleiben – egal ob mit oder ohne
Rückkehrpflicht.
So kann das private Auto immer noch ganz unbehelligt im öffentlichen
Raum abgestellt werden, denn das gilt im Straßenverkehrsrecht als
„Gemeingebrauch“. Dagegen muss alles, was gewerblich betrieben wird,
entweder mit strengen Auflagen oder mit zusätzlichen Gebühren rechnen.
Öffentlicher Verkehr pflegt seine Nische
Das „öffentliche Verkehrsinteresse“ hat bis heute ein klares Ziel:
Die Förderung von Besitz und Nutzung privater Kraftwagen – so wie es
gesetzlich erstmals 1934 formuliert und bis heute nicht geändert wurde.
Der öffentliche Verkehr, einschließlich der von Taxis, von Mietwagen und
nun auch der von Pooling-Diensten läuft als Alibi gleichsam nebenher.
Das gilt erst recht für die Betreiber von Bussen und Bahnen, die von
den Änderungen im Personenbeförderungsgesetz ebenfalls betroffen sind.
Als zu Beginn der Reform über eine Aufweichung der gesetzlichen
Grundlagen diskutiert wurde, hat die Branche jede Öffnung komplett
weggeblockt.
Verkehrsunternehmen erlauben bis heute keinem anderen
Verkehrsunternehmen, ihre Angebote mitzuvermarkten. So kann jedes
Unternehmen ganz ungestört vor sich hin wursteln. Nutzer, die aus dem
privaten Auto aussteigen wollen, benötigen weiterhin rund acht bis zehn
Apps, um den gesamten öffentlichen Verkehr nutzen zu können.
Die Erfolgsgeschichte des Mobilfunks – ein Anbieter mit einem Service
rund um den Globus – soll sich beim öffentlichen Verkehr nicht
wiederholen. Die Branche will gar nicht mehr Kunden haben.
Bei einer Anhörung im Bundestag
im Januar haben Verbandsvertreter die Strategie nochmals deutlich
gemacht: Die jetzigen Angebote von Bus und Bahnen sollen gehalten und
pandemiebedingte Fahrgeldausfälle von den Steuerzahlern kompensiert
werden. Wachstum möchte die Branche nicht, denn gegen das Auto habe man
sowieso keine Chance. Ein Anteil am Verkehrsmarkt von maximal zehn bis
15 Prozent sei „in Ordnung“.
Wer klein denkt, bleibt klein. Die Novelle des
Personenbeförderungsgesetzes ist ein Spiegelbild des öffentlichen
Verkehrs: Die Betreiber von Bussen und Bahnen möchten ihre Nische
juristisch stabilisiert und öffentlich finanziert wissen. Die Anbieter
von digitalen Plattformen akzeptieren den vorgegebenen Rahmen als
Randerscheinung und streiten sich mit Taxi- und Mietwagenfirmen um
Krümel, die abseits des großen Autokuchens verteilt werden.
Durchbruch beim autonomen Fahren
Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn sich das öffentliche
Verkehrsinteresse änderte und der private Autoverkehr eingedämmt und
zurückgedrängt wird, weil er zu viele Ressourcen bindet, das Klima
bedroht und die Ziele einer universellen Erreichbarkeit nicht mehr
erfüllt? Wenn in den Städten der öffentliche Verkehr gemeinsam mit
Pooling- und Sharingdiensten die Hauptlast der Mobilitätsangebote
erbringen würde?
Das wäre keine Utopie. Um hier nochmals die Hauptstadt zu bemühen: Vor der Pandemie war an den öffentlichen Wegen in Berlin das Auto mit rund 24 Prozent beteiligt, der öffentliche Verkehr mit 28 Prozent und das Fahrrad mit rund 20 Prozent. Fußwege sowie Sharing- und Poolingdienste hatten zusammen einen Anteil von rund 18 Prozent. Der private Autoverkehr ist plötzlich in einer Minderheitenposition.
An der Stelle kommt die zweite Gesetzesinitiative ins Spiel, die das
Bundeskabinett mit einem etwas sperrigen Titel auf den parlamentarischen
Weg brachte: die
Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (AFGBV).
Es fällt einem wirklich schwer zu glauben, aber das Verkehrsministerium
hat kurz vor Toresschluss noch einen Coup gelandet. Zwar steht die
Ressortabstimmung zur AFGBV noch aus und es gibt noch tausend offene Fragen wie die nach Datenschutz und Haftung – der Geist aber ist aus der Flasche.
Mit der Verordnung öffnet das Ministerium die Tür für den Betrieb
„autonomer Flotten“ und geht damit weit über das hinaus, was die
deutschen Autohersteller für gut und nützlich befinden.
Daimler, BMW, VW und Co wollen lediglich einen sehr kontrollierten
Ausbau des automatischen Fahrens. Der Fahrzeugführer bleibt da immer der
Herrscher der Reußen und kann nur ab und zu die Hände vom Steuer
nehmen.
Das Ministerium geht einen Schritt darüber hinaus. Vorgesehen ist,
dass der Betrieb eines Kraftfahrzeugs nicht mehr von einem
Fahrzeugführer, sondern von einer „technischen Aufsicht“ kontrolliert
wird, die nicht im Fahrzeug stationiert ist.
Selbstfahrende Autos für den öffentlichen Verkehr
Damit ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel vom automatischen Fahren
zum autonomen Betrieb möglich. Künftig können Autos als Fahrmaschinen
für den öffentlichen Verkehr eingesetzt werden.
Autonome Fahrzeuge unterliegen keiner Steuerung durch einen
Fahrzeugführer mehr, sondern folgen einem neu definierten öffentlichen
Verkehrsinteresse: Jeder und jede kann sich abholen und bringen lassen,
natürlich auf unterschiedlichem Servicelevel. Mal direkt, mal über
Umwege, mal allein, mal im Pool, mal mit Gepäck und Kindern und für
längere Strecken kombiniert mit Bussen und Bahnen.
Kein Auto müsste mehr 90 Prozent seiner Zeit herumstehen und einen
typischen Besetzungsgrad von einer Person aufweisen. Das Auto wäre aus
der Klammer des Privatbesitzes befreit: Mehr Mobilität für alle mit
weniger Fahrzeugen.
Man ist schnell geneigt zu kommentieren: Alles gut, aber die Technik
ist ja noch lange nicht so weit. „Robo-Taxis“ seien doch noch
Science-Fiction. Wer allerdings mal nach Phoenix in Arizona schaut, dem
wird nicht entgangen sein, dass die Zukunft schon da ist. Dort kann man heute schon in Fahrzeuge ohne Chauffeur einsteigen, und das im Regelbetrieb.
Es wäre also eine Chance für die Neudefinition des öffentlichen Verkehrs. Doch diesmal könnte nicht einmal das Haus Scheuer der Bremser sein, sondern die beharrliche Kleinteiligkeit der Branche des öffentlichen Verkehrs.
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