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18.06.2020. Mit Milliarden will der Staat Busse und Bahnen aus der Coronakrise retten und so auch Alternativen zum Auto stärken. Doch der öffentliche Verkehr ist in jetziger Form nicht zukunftsfähig, findet Transportexperte Andreas Knie – und fordert radikales Umdenken.

Die Corona-Pandemie hat für den öffentlichen Nahverkehr gravierende Folgen. Unternehmen verzeichnen Fahrgastverluste von mehr als 80 Prozent. Nun soll ein Schutzschirm über Busse und Bahnen gespannt werden, der Bund stellt den Ländern im Konjunkturpaket rund 2,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Betriebsverlusten bereit. Für die Bahn gibt es sechs Milliarden Euro frisches Eigenkapital.

Das klingt wunderbar. Doch wird womöglich das Falsche gerettet?

Angesichts von Staus, Stress und steigenden CO2-Emissionen rufen viele Fachleute und Politiker nach einer Verkehrswende. Die Dominanz des privaten Autos soll zurückgefahren, Busse und Bahnen attraktiver werden. Diese Forderungen stehen seit Jahrzehnten auf der Agenda, doch in den vergangenen Jahren hat der Staat tatsächlich zusätzliche Milliardensummen in den öffentlichen Verkehr gesteckt, Fahrzeuge angeschafft, Streckennetze erweitert.

Doch Busse und Bahnen haben ihre Anteile am Verkehrsmarkt seit vielen Jahren nicht wirklich steigern können. Der Fernverkehr verharrt bei rund acht Prozent und der ÖPNV bleibt stabil unter zehn Prozent. Der öffentliche Verkehr wurde nur dort vermehrt genutzt, wo die Städte wuchsen. In kleineren Kommunen gehen die Fahrgastzahlen sogar zurück. Auf dem Land sind mehr als 90 Prozent der Fahrgäste Schüler und Auszubildende.

In der vergangenen Woche sah sich der Europäische Rechnungshof genötigt, die bisherigen Förderstrategie für den öffentlichen Verkehr gerade auch in Deutschland zu rügen. Mit klaren Worten drückte die Behörde aus, was offensichtlich ist: Es hat alles nichts gebracht, die Zahl der zugelassenen Autos steigt jedes Jahr um bis zu drei Prozent.

Mehr vom Gleichen scheint beim öffentlichen Verkehr nicht zu helfen. Selbst in Berlin, der Stadt mit einem sehr guten ÖPNV werden nur 28 Prozent der täglichen Wege mit Bussen und Bahnen unternommen.

Dabei sind sich so gut wie alle einig. Die Zukunft der Mobilität kommt nicht ohne einen leistungsfähigen Verkehr mit Bussen und Bahnen aus. Großgefäße, die viele Menschen sehr effizient transportieren, sind für einen flüssigen Verkehr in den Ballungsräumen unerlässlich.

Doch jetzt kommt die Pandemie und deckt die Schwächen des ÖPNV gnadenlos auf. Wer die Wahl hat, favorisiert plötzlich doch wieder das Auto oder nutzt das Fahrrad, die Stammkunden zögern. Das Virus lässt individuellere Verkehrsmittel auf einmal deutlich attraktiver erscheinen.

Zeit, die die Teilnehmer mobil verbracht haben in Prozent:

Das alles zeigt: Für viele Menschen ist der aktuelle ÖPNV im Zweifel verzichtbar oder die zweitbeste Wahl. Als Rückgrat für die Verkehrswende taugt er deshalb leider nicht.

Busse und Bahnen waren wunderbare Dinge – vor der Erfindung des Autos. Außerhalb der großen Städte ist und bleibt der ÖPNV ein Angebot für die, die sich kein eigenes Fahrzeug leisten oder aus anderen Gründen nicht nutzen können. Ein ungeliebtes Kind der Autogesellschaft, dem keiner wirklich mit Herzblut begegnet.

Busse und Bahnen werden in der deutschen Tradition der Daseinsvorsorge zwar mit beträchtlichem Aufwand betrieben, aber eben nur bereitgestellt. Kunden kommen in dieser Welt nicht vor, die öffentlichen Mittel fließen, egal wie viel Menschen den Dienst tatsächlich in Anspruch nehmen. Keiner der Chefs der großen Nahverkehrsunternehmen, der selbst nicht Dienstwagen und privates Auto nutzt.

Statt des dringend benötigten Wandels hin zu einem digital vernetzten Angebot ist Stückwerk zu besichtigen. Immerhin, die Hamburger Hochbahn versucht es mit „Switch“, die BVG mit „Jelbi“, doch kaum einer kennt oder nutzt diesen Service. Die Deutsche Bahn droht, das erfolgreiche Angebot CleverShuttle einzustellen.

Der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) ist seit mehr als zehn Jahren dabei, eine App für alle Angebote zu realisieren und scheitert immer wieder am fehlenden Verständnis darüber, warum man das überhaupt braucht. Der Betriebsablauf wird dadurch nur gestört. Die Verteidiger dieses Elends warnen bei jedem neuen Verleih- oder Poolingangebot vor angeblicher Kannibalisierung, es könnte eine Busfahrt ersetzt werden.

Dabei ist alles für einen Wandel vorhanden: Die Digitalisierung ermöglicht überall in Deutschland Tür-zu-Tür-Verbindungen ohne Privatautos. Ein Klick aufs Smartphone und schon könnte ein Fahrzeug jemanden abholen und überall hinbringen. Das Fahrzeug kann ein Auto sein, ein Fahrrad, ein Tretroller oder eben auch Busse und Bahnen – gemeinsam, vernetzt und digital zu einer einzigen Dienstleistung verschmolzen.

Doch dazu müsste die Organisation von Bussen und Bahnen völlig neu gedacht werden. Echter Kundennutzen ersetzt die Logik der Bereitstellung und orchestriert das Gesamtangebot zu einem einzigen Kunstwerk, in dem niemand mehr ein privates Auto braucht. Die Milliarden des Konjunkturprogramms könnten daher für einen völlig neuen ÖV wunderbar angelegt werden und sollten nicht zur Konservierung des Bestehenden führen.

Zum Glück kommt frischer Wind auf. Ausgerechnet das Bundesverkehrsministerium unter CSU-Mann Andreas Scheuer beschließt in dieser Woche Grundzüge einer Novelle für das Gesetz, das im öffentlichen Verkehr alles regelt und hinter die sich jeder beim Nichtstun bisher versteckt hat: Das Personenbeförderungsgesetz.

Digitale Angebote sollen erstmals zugelassen werden – es ist so, als ob nun Farbfernsehen erlaubt würde. Die Kommunen können Poolingdienste mit Auflagen versehen, diese mit Bussen und Bahnen zu verbinden und den Verkehr als ein „Hub and Spoke“-Prinzip organisieren: Busse und Bahnen als Verbindung zwischen den Verkehrskontenpunkten („Hubs“) und Poolingdienste, Fahrräder, E-Autos, Scooter, Tretroller als Tür-zu-Tür Verbindung („Spoke“), später ergänzt durch autonome Shuttles, die den Verkehr bequemer, sicherer und nachhaltiger machen. Es muss dann keiner mehr ein Auto besitzen oder selbst steuern.

Kommt nicht, braucht keiner, geht nicht? Solche Einwände klingen allzu bekannt, als erste Reaktion auf Apple, Google, Facebook, Amazon oder Tesla. Und dann kommt der Wandel doch schneller – aber von anderen und wir sind wieder nicht dabei.

Ein Gastbeitrag von Andreas Knie.

Den Originalartikel bei SPIEGEL Mobilität finden Sie hier.

Bild: © Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH

Mobilität in Zeiten von Corona: Auto bleibt das meistgenutzte Verkehrsmittel

Berlin, 15.06.2020. Die Deutschen haben während des Corona-Lockdowns das Zufußgehen wiederentdeckt. Sie legten fast jeden dritten Weg zu Fuß zurück. Das beliebteste Fortbewegungsmittel blieb jedoch das Auto. Mit dem Hochfahren der Aktivitäten könnte der Pkw sogar stärker genutzt werden als vor der Pandemie. In einer Umfrage gab rund ein Drittel der Befragten an, aus Angst vor dem Virus statt Busse und Bahnen in der nächsten Zeit lieber das Auto zu nehmen. Ein Forscherteam unter Leitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hatte von Mitte März bis Mitte Mai 2020 rund 1.000 Menschen repräsentativ zu ihrem Mobilitätsverhalten befragt.

Während des Lockdowns wurden die Wege der Menschen insgesamt weniger und kürzer: Waren zuvor rund 85 Prozent der Menschen über 16 Jahre täglich unterwegs, fiel diese Zahl während des Stillstands zwischenzeitlich auf unter 60. Noch drastischer gingen Anfang April die dabei zurückgelegten Entfernungen zurück: von knapp 40 Kilometer auf weniger als 10 Kilometer. 

Bei der Wahl der Verkehrsmittel holte Zufußgehen in einem beachtlichen Ausmaß auf (30 Prozent aller Wege statt 19 Prozent in einem normalen Mai). Das Auto dagegen verlor: Wurden mit dem Pkw vor der Pandemie 59 Prozent aller Wege zurückgelegt, waren es während des Shutdowns etwa 45 Prozent. Dennoch bleibt das Auto auch in Zeiten der Corona-Pandemie das beliebteste Verkehrsmittel der Deutschen. 

Der deutschlandweite Anteil des Fahrrads blieb im Monatsschnitt für den Mai mit 10 gegenüber 12 Prozent fast stabil. Über den Tagesverlauf zeigten sich hier Unterschiede. Morgens, vormittags und abends waren die Radwege leerer als sonst, in den Nachmittagsstunden wurde dagegen mehr geradelt. Der öffentliche Verkehr büßte im untersuchten Zeitraum deutlich ein. Sein Anteil fiel von 10 auf 6 Prozent.

„Die Ergebnisse zeigen, wie fragil die in den letzten Jahren begonnene Verkehrswende im Sinne einer Reduktion des Autoverkehrs noch immer ist und wie groß die Kraft der über Jahre eingeübten Routinen“, sagt Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am WZB. Die Pandemie mache die Verkehrsprobleme wie durch eine Lupe sichtbar: Busse und Bahnen blieben in der Nutzung kompliziert und seien vielfach nicht wirklich geliebt, das Fahrrad sei immer noch nicht massenverkehrstauglich und das Auto weiterhin die bequemste aller Alternativen. 

In den Großstädten dagegen scheinen sich die Alternativen zum Auto bereits zu etablieren. „Die Pandemie könnte in den Städten die Verkehrswende weiter voranbringen, wenn der Radverkehr mehr Unterstützung erfährt“, erklärt WZB-Forscher Weert Canzler. So registrierten die Zählstellen der Großstädte zum Beispiel in Berlin Ende Mai schon wieder so viele Radfahrer*innen wie im Vorjahr.

Die Corona-Krise zeige aber auch, dass viel mehr möglich sei als gedacht, betonen die WZB-Forscher. Ein Beispiel dafür sind temporäre Infrastrukturen wie die Pop-up-Radwege, die von einem Tag auf den anderen entstanden sind und genug Platz zum Radeln unter Wahrung der Abstandsregeln bieten. Am Stadtrand und in ländlichen Gebieten bleibe die Autonutzung dagegen aller Voraussicht nach stabil.

Die Umfrage bildet den Auftakt von MOBICOR, ein vom WZB geleitetes Projekt in Zusammenarbeit mit infas, MOTIONTAG und Nuts One, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ziel ist es, Menschen in den kommenden drei Jahren wiederholt zu ihrem Verkehrsverhalten zu befragen. Zusätzlich werden die Mobilitätsmuster ausgewählter Personen mithilfe digitaler Erhebungstechniken per App erfasst.

Die Ergebnisse sind in einem ersten Mobilitätsreport zusammengefasst:
Zurück zur Normalität? Unsere Alltagsmobilität in der Zeit von Ausgangsbeschränkungen, Quarantäne und wiedererlangter Routinen (PDF)

Bild: © teilAuto Leipzig (Mobility Center GmbH)

09.06.2020. Eine solide Infrastruktur für Bus und Bahn, eine steigende Anzahl von Fahrradfahrenden, stationäres und flexibles Car- und Bikesharing und digitale Ridepooling-Angebote: Alternativen zum privaten Pkw haben in Leipzig zu einer Veränderung im Mobilitätsverhalten geführt, schreiben die Forscher Lisa Ruhrort und Andreas Knie. Die Stadt habe das Potenzial, zum „Verkehrsparadies“ zu werden.

Der Europaische Rechnungshof hat letzte Woche in einem Gutachten die bisherigen Anstrengungen der Kommunen zur Verbesserung des Öffentlichen Verkehrs gerügt. Die bisherigen Investitionen hätten nichts gebracht, weil der Anstieg des Automobilverkehrs weiter zunehmen würde. Besonders in der Kritik stand Leipzig.

Doch eine genaue Analyse der Entwicklung der Stadt zeigt, dass Leipzig mit seiner kompakten Stadtstruktur und einer stark wachsenden Bevölkerungszahl bereits den Kern einer neuen Verkehrskultur lebt und als städtisches Labor der Zukunft funktioniert: eine solide ÖV-Infrastruktur, eine steigende Anzahl von Fahrradfahrenden, kombiniert mit einem wachsenden stationären und flexiblen Car- und Bikesharing, ergänzt durch digitale Ridepooling-Angebote sind die sichtbaren und gelebten Zeichen von Alternativen zum privaten Auto.

Die Ingredienzien des Wandels in eine attraktive und nachhaltige Verkehrskultur sind in keiner anderen Stadt in Deutschland bereits so stark ausgeprägt wie in Leipzig. Allerdings merkt die Stadt es selbst noch gar nicht und bietet Kritikern wie dem Rechnungshof unnötige Angriffsfläche.

Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen zum Leipziger Verkehr ganz normal. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) liegt mit knapp 40 Prozent im bundesdeutschen Mittelfeld. Der Anteil Busse und Bahnen ist mit rund 18 Prozent sogar nur hinteres Mittelfeld. Vorne mit dabei ist Leipzig beim Fahrradverkehr, der mit über 18 Prozent sogar etwas höher ist als in Berlin (17 Prozent). Rund 37 Prozent der Haushalte in Leipzig haben kein eigenes Kraftfahrzeug (Kfz).

Die Zahlen relativieren sich aber, wenn man die Bevölkerungsentwicklung der Stadt zugrunde legt. Leipzig hatte 1998 noch rund 450.000 Einwohner, 20 Jahre später sind es bereits 600.000 mit weiter steigender Tendenz. Keine vergleichbare Stadt ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten so gewachsen wie Leipzig. Städte und Ballungsräume in dieser Größenordnung und mit dieser Wachstumsdynamik zeigen in der Regel eine deutlich höhere Kfz-Dichte auf wie beispielsweise Düsseldorf, Frankfurt oder Stuttgart.

Leipziger sind nicht auf den eigenen Pkw angewiesen

Dies deutet an, dass sich in Leipzig heimlich, still und leise bereits ein Wandel im Verkehrsverhalten zeigt, denn es gibt Alternativen zum privaten Auto. Mit knapp 600 Carsharing-Fahrzeugen, davon über 100 als Freefloating-Angebote, ist eine solide Grundlage bereits gelegt. Mit 150 Kilometer Straßenbahnnetz verfügt Leipzig über ein sehr gut ausgebautes und leistungsfähiges ÖV-Netz, das die Stadt sehr gut erschließt, allerdings noch gut gefüllt werden muss. Denn mit einer durchschnittlichen Auslastung von gut 16 Prozent über alle Strecken, Linien und Zeiträume ist noch jede Menge Luft nach oben.

Digitale Poolingdienste ergänzen das Angebot an Bussen und Bahnen sehr sinnvoll. Die Auswertung der Fahrprofile sowie die Befragung der Kunden zeigt, dass diese digitalen Anrufsammeltaxis besonders in Leipzig in dieser Hinsicht ein Erfolgsmodell ist. Die Poolingquote, also die Zahl von Fahrten, in denen mehrere Fahrgäste beförderte werden, beträgt in Leipzig knapp 50 Prozent und erreicht am Wochenende im Vergleich zu anderen Städten mit durchschnittlich rund 65 Prozent wahre Spitzenwerte.

Besonders eindrucksvoll ist in Leipzig, dass solche digitalen Poolingdienste dazu dienen, die Schwachlastzeiten des ÖVs zu kompensieren. An Wochenenden und in den späten Abendstunden ist die Nutzungsfrequenz dieser Angebote sehr hoch. Samstags zwischen 23 und 2 Uhr transportieren die Fahrzeuge ein Drittel der Fahrgäste im Wochenverlauf.

Das Interessante: Rund 67 Prozent der befragten Nutzer verfügen über ein Fahrzeug im Haushalt, aber rund 40 Prozent der Befragten könnten sich in Leipzig vorstellen, das Auto abzuschaffen, wenn solche Poolingangebote dauerhaft verfügbar bleiben. Auf Basis der Umfragen lässt sich hochrechnen, dass in Leipzig ein Pooling-Fahrzeug rund 50 private Pkws ersetzen könnte.

Zurzeit werden im Stadtgebiet von Leipzig nur 65 Pooling-Autos zugelassen, der Betrieb läuft unter der Kontrolle der Experimentierklausel des Personenbeförderungsgesetzes und wird daher von der Stadt streng reglementiert. Wenn also statt der sehr begrenzten Zahl beispielsweise 1.000 Fahrzeuge zugelassen würden, dann könnten rechnerisch rund 50.000 Fahrzeuge durch Pooling-Angebote abgeschafft werden.

Ergänzt man noch die Berechnung, dass durch die Kombination aus unterschiedlichen Carsharing-Angeboten pro Fahrzeug laut Umweltbundesamt rund 15 Autos eingespart werden, dann könnte eine offensive Flächenbereitstellung solcher Angebote sofort Wirkung zeigen.

Nach Schätzung von Betreibern wäre in Leipzig für gut 1.200 Fahrzeuge eine Nachfrage vorhanden. Damit könnten weitere 18.000 private Kfz eingespart werden, insgesamt also 68.000 Fahrzeuge. Das ist rund ein Drittel des gesamten privaten Kfz Bestandes in Leipzig.

Noch immer genießt das Auto Privilegien

Die Grundlagen sind dafür gelegt, dass Leipzig die Zahl der privaten Autos deutlich und sofort zurückfahren kann, weil Alternativen verfügbar sind und genutzt werden. Die kompakte Stadtstruktur, die hohe Zahl von Radfahrenden sowie das um Car- und Bikesharing sowie durch digitale Poolingdienste ergänzte Netz an Straßenbahnen und Bussen, könnten die Stadt sofort in eine nachhaltige, staufreie und attraktive Verkehrszukunft beamen. Wenn es jetzt in Leipzig eine App für alle gäbe, wäre der Zugang zu den unterschiedlichen Angeboten noch leichter. Es kommt aber ein weiterer Aspekt hinzu, der in noch überhaupt keiner Stadt in Deutschland erreicht wurde.

Dem Vernehmen nach werden die Angebote des Freefloating-Carsharings sowie auch die des digitalen Poolings bereits jetzt in Leipzig nahezu auskömmlich betrieben. Leipzig gönnt sich dennoch immer noch sehr viel Platz für Autos, der Innenstadtring ist durchweg mehrspurig, eine Vorrangschaltung für Bahnen fehlt. Was wäre, wenn die Stadt die Privilegien des privaten Autos etwas zurückfahren würde?

Es könnte ein neues Verkehrsparadies mit starker wirtschaftlicher Strahlkraft entstehen. Leipzig, die eigentliche Stadt der Wende. Dann hätte die Stadt auch die Chance dem Europäischen Rechnungshof zu entgegnen, dass eine Förderung von Bussen und Bahnen alleine tatsächlich die Verkehrswende nicht garantiert, dass die nächsten Schritte aber bereits in der Umsetzung sind.

Die Autoren Andreas Knie und Lisa Ruhrort forschen am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zu „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“.

Der Beitrag ist erschienen beim Tagesspiegel Background.

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Gemeinsame Stellungnahme zu Kaufprämien für PKW

Berlin und München, Mai 2020. Die Coronakrise hat der deutschen Wirtschaft enorm den Wind aus den Segeln genommen. Stillstand halten hochindustrialisierte Systeme nicht lange aus. Eine gezielte Wirtschaftsförderung kann und muss helfen, damit Menschen weiter Arbeit haben und soziale und wirtschaftliche Systeme nicht noch größeren Schaden erleiden. Die Förderung der mobilitätsrelevanten Industrie ist hier ein guter Ansatz: Ausgaben können schnell und unbürokratisch getätigt werden und sind unmittelbar wirksam.

All das macht jedoch nur Sinn, wenn mit den Investitionen zukunftsfähige Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden. Genau hier liegt die Chance der Krise: Ohnehin nicht mehr zeitgemäße Strukturen verschwinden schneller von der Bildfläche; zukunftsweisende Entwicklungen können entschlossener gefördert werden. Zusammengefasst muss also die Frage beantwortet werden: Wie schaffen wir mit einem Konjunkturprogramm für die mobilitätsrelevante Industrie jetzt ökonomische Wirkung, die unmittelbar attraktiv, nachhaltig effektiv und sozial und ökologisch wünschenswert ist?

Der in einigen Kreisen angedachte Vorschlag, den Kauf nahezu aller aktuellen Automobilmodelle zu fördern, kann keine sinnvolle Antwort auf diese Frage sein. Die ökonomische Wirkung wäre nur kurzfristig verlagert, die positive Verstärkung eines „Weiter so“ fatal für die ohnehin im Sinne der Zukunft der Mobilität innovationsschwache Automobilbranche und somit endgültig verhängnisvoll für die Zukunft des Standorts Deutschland. Und die Schäden an Klima und Umwelt und die Beeinträchtigung der urbanen Lebensqualität stoßen schon seit einiger Zeit auf immer größeren Widerstand.

Der hier skizzierte Vorschlag fordert daher, bei der Entwicklung dieses Konjunkturprogramms von zentralen Bausteinen einer wünschenswerten Mobilität der Zukunft auszugehen. Je nach Zielsetzung und Adressaten ergibt sich hieraus eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten – die alle besser sind als die oben genannten Autokaufprämien:

  • Mit einem Mobilitätsbudget soll die Entwicklung kreativer Zukunftslösungen gefördert werden. Beispiele sind innovative Mikrofahrzeuge, Plattformen und autonome Lieferdienste, Design grüner Mobilitätsinfrastruktur in Kommunen und die Weiterentwicklung von Autohäusern zu Mobilitätshäusern und von Flughäfen zu Zentren für globales Lernen und globale Kultur.
  • Zur Verkehrsvermeidung soll der Ausbau der digitalen Infrastruktur gefördert werden, um Heimarbeit effektiver zu ermöglichen und Dienstreisen reduzieren zu können.
  • Kaufanreize sollen bei Fahrrädern, Lastenfahrrädern und E-Bikes, kleinen PKW mit alternativen Antrieben und umweltfreundlichen Bussen gesetzt werden.
  • Statt veralteter Fahrzeug-Großindustrie sollen KMU, Startup- und Einzelunternehmen gefördert werden, die innovative und nachhaltige Produkte aus dem gesamten Spektrum der Mobilität herstellen und vertreiben.
  • Bürger*innen sollen ein experimentelles Mobilitätsbudget erhalten, um alternative Mobilitätslösungen wie Sharing, E-Bikes oder Kleinstfahrzeuge auszuprobieren oder den ÖV zu nutzen.
  • Für Kommunen soll ein Innovationswettbewerb um zukunftsfähiges Infrastrukturdesign ausgelobt werden, z.B. eine Abwrackprämie für marode Bürgersteige und Radwege gezahlt werden.
  • Bahnhöfe sollen für eine bessere Erreichbarkeit dabei unterstützt werden, neue Schnittstellen zum Fahrradverkehr zu entwickeln.

Natürlich übersteigt die Summe der Vorschläge die finanziellen Möglichkeiten eines Konjunkturprogramms erheblich. Die Unterzeichner*innen wollen jedoch die Bandbreite der attraktiven Möglichkeiten aufzeigen. Wir fordern von der Politik, dass das Geld der Steuerzahler*innen sinnvoll eingesetzt wird, zum langfristigen Wohl von Gesellschaft und Wirtschaft. Deutschland soll die Chance nutzen, die die Krise bietet!

PDF-Download: Stellungnahme Verkehrtwende

Kontakt
verkehrswendebuero@wzb.eu
secrets@innovationsmanufaktur.com

Das Verkehrswendebüro ist eine Initiative einer Allianz aus Verbänden und Einrichtungen, die in den vergangenen Jahren großräumige Schaufensterprojekte und Modellvorheben verantwortet haben und die sich mit der Wissenschaft für die Verkehrswende engagieren.
Das Verkehrswendebüro hat seinen Sitz bei der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und wird in seiner Projektarbeit unter anderem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.

Die Innovationsmanufaktur GmbH arbeitet seit dem Jahr 2000 an privatwirtschaftlichen, öffentlich geförderten und selbst initiierten Projekten zur systematischen Entwicklung von Innovationen in den Kernbereichen Mobilität, Sport und Gesundheitsförderung. Kernkompetenz sind die eigene, in der Praxis erprobte und immer wieder verbesserte Methodik der Holistischen Innovation, die Innovation von Mensch und Gesellschaft her denkt, und der Aufbau und die Moderation von Innovationsnetzwerken.

www.verkehrswendebuero.de
www.innovationsmanufaktur.com

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Eine der wenigen positiven Auswirkungen der Corona-Pandemie sieht man beim Blick aus dem Fenster: Die Straßen sind sichtlich leerer. Der Autoverkehr ist laut dem Institut der deutschen Wirtschaft seit März um 53,8 Prozent zurückgegangen, der Lkw-Verkehr um 26 Prozent.

Temporärer Radweg in Dortmund
Diese neue Situation sehen viele Experten als Chance, Verkehrskonzepte schneller umzusetzen. So ging in Dortmund ein Brief bei Oberbürgermeister Ulrich Sierau ein. Abgeschickt von zwölf Organisationen, darunter BUND, ADFC, Greenpeace, dem Bund Deutscher Architekten oder dem Seniorenbeirat der Stadt. Die Forderung: Der Straßenraum soll besser verteilt werden und mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger bieten.

Wie das gehen soll? Dafür wird am Dienstag (19.05.2020) der rechte Fahrstreifen des Heiligen Wegs, einer Ausfallstraße im Osten der Innenstadt, abgesperrt und eine Stunde lang als Radweg genutzt. Ein Pilotprojekt, das einfach umzusetzen ist und Schule machen soll. In ihrem offenen Brief erwähnen die Organisatoren ähnliche Projekte in New York und Brüssel und fordern: „Dortmund kann das auch!“

Abstandsregeln auf Gehwegen schwer einzuhalten
Auch in Köln hoffen viele Menschen auf Rückenwind für die Verkehrswende. Da auf vielen Gehwegen die Corona-Abstandsregeln schwer einzuhalten sind, wird im Stadtteil Ehrenfeld temporär mehr Radverkehr auf die Straßen verlagert. Außerdem sollen zusätzliche Fahrradständer aufgebaut werden, um mehr Platz auf den Gehwegen zu schaffen.

Verkehrswende auch in Kleinstädten nötig
Neue Wege bei der Verkehrspolitik will man in Drolshagen bei Olpe gehen. Denn die Probleme der Großstädte gibt es auch hier: Lärm, Umweltbelastungen, Parkplatzknappheit. „Hier hat gefühlt jeder Haushalt zwei bis drei Autos“, sagt der Bürgermeister Ulrich Berghof. „Auch wir brauchen die Verkehrswende.“ Die Zeit dafür scheint günstig: In der 12.000-Einwohner-Stadt ist der Verkehr wegen Corona deutlich gesunken. Zudem ist Drolshagen zur Modellkommune für die Verkehrswende erklärt worden. Einen selbstfahrenden Bus gibt es dort schon, die Stadverwaltung nutzt Carsharing, weitere Konzepte werden erarbeitet.

Homeoffice könnte dauerhaft den Pendelverkehr reduzieren
Am Ende laufen aber alle Ideen auf ein Verteilungsproblem hinaus: Der Platz auf der Straße ist begrenzt, jede zusätzliche Radspur geht auf Kosten der Autofahrer. Und auch wenn Verkehrsforscher wie der Soziologe Andreas Knie eine deutliche „Pro-Fahrrad-Stimmung“ in den Städten wahrnehmen: Die Zahl der Autoneuzulassungen bleibt stabil. Ob sich das wegen Corona ändert? Zumindest die Pendlerzahlen dürften dauerhaft sinken. Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Berufsverkehr auch nach dem Ende der Pandemie um 20 Prozent geringer ausfällt. Dem Homeoffice sei Dank.

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Eine Initiative des Verkehrswendebüros

Shutdown allerorten. Die Bilder der Militärlastfahrzeuge in den norditalienischen Städten hat die Dramatik der Lage auf grausame Weise verdeutlicht. Zur Bekämpfung der Covid 19-Pandemie hat auch Deutschland das öffentliche Leben runtergefahren. Betroffen ist davon ganz besonders der Verkehrssektor. Autohersteller und Zulieferindustrie, Touristikunternehmen, Airlines und Flughafenbetreiber verhandeln mit der Bundesregierung bereits über milliardenschwere Hilfsprogramme. Ziel ist die Abmilderung der wirtschaftlichen Auswirkungen, um die Branche zu retten. Die Vergangenheit wird also längst schon wieder in die Zukunft verlängert.

Die Krise trifft auch Kommunen mit großer Härte. Gewohnte Leistungen der Daseinsvorsorge im Verkehr sind gefährdet. Es droht ein Milliardenloch bei der Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. Die Taxi-, Mietwagen- und Carsharingbetreiber melden hohe Verluste, die Vielfalt der Angebote ist gefährdet.

Auf der anderen Seite erleben Bürger*innen ihr Wohnumfeld, ihre Stadt, ihre Gemeinde ganz neu. Der Rückgang des Autoverkehrs führt zu besserer Luftqualität, weniger Lärm und neuen Freiräumen. Die drastische Verkehrsreduzierung schafft Perspektiven für die Fortsetzung der Verkehrswende. Der Weg aus dem Shutdown kann dazu genutzt werden, die Kernelemente eines zukünftigen Verkehrs zu definieren, der die Beweglichkeit der Menschen wiederherstellt, Arbeitsplätze sichert, neue schafft und dies alles in einer nachhaltigen Weise.

Auswege aus der Krise

Shutdown heißt auch Routinebruch. Es gilt jetzt zu handeln – für eine tiefgreifende Modernisierung des Verkehrssystems und der Verkehrsmittel. Die Anzahl der Pkw kann reduziert und der Antrieb auf Elektromotoren umgestellt werden. Durch die Verwendung von Fahrstrom aus regenerativen Energiequellen bieten sich gute Möglichkeiten der Verbindung der Verkehrs- und Energiewende. Die Verbesserung der Luftqualität und der Lärmbelastung steigert die Lebensqualität. Den Alternativen zum privaten Autobesitz kann deutlich mehr Raum gegeben werden. Dazu braucht es mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr und ein besseres Angebot im ÖPNV, der als integriertes Tür-zu-Tür-Angebot an jedem Ort und zu jeder Zeit auf digitalen Plattformen attraktiver wird.

Kommunen sind die Game Changer, die Pioniere der Verkehrswende. Sie können spürbare wirtschaftliche Impulse setzen und auf lokaler Ebene die Rahmenbedingungen für den Mobilitätssektor zukunftsfähig ausrichten. Sie brauchen dazu aber politische Unterstützung, finanzielle Ausstattung und erweiterte Befugnisse.

Wir schlagen ein eigenes Reset-Programm der Verkehrswende durch den Bund vor, auf das sich die Kommunen bewerben können. Ziel des Programms ist es, die bereits geplanten und begonnenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise unter den neuen Umständen zu beschleunigen und damit nachhaltig Arbeitsplätze in der Verkehrsbranche zu sichern. Das Programm soll folgende vier Handlungskonzepte haben:

Energie- und Verkehrswende in den Kommunen verbinden
Die Kommunen werden bei der Umstellung von Fuhrparks und beim Ausbau von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge auf öffentlichen und privaten Flächen unterstützt. Der Aufbau von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge wird auch durch den Aufbau von Mobility-Hubs auf öffentlichen und privaten Flächen ergänzt, die idealerweise auch Solarstrom vor Ort erzeugen. Die Hubs sind multimodale Ankerpunkte für alle flexiblen und elektrifizierten Sharing- und Pool-Fahrzeuge und sollten für einen guten Umstieg direkt an wichtigen Haltestellen des ÖV liegen. Zur beschleunigten Umsetzung werden ebenso Planung, Errichtung und Betrieb standardisiert.

Bestandssicherung und Erneuerung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV)
Der ÖV ist durch den Einbruch der Fahrgastzahlen und den drastischen Rückgang der Ticketeinnahmen als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge existenziell bedroht. Zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung mit öffentlichem Verkehrsangeboten soll ein Schutzschirm aufgespannt werden, der die ÖV-Unternehmen strukturell und finanziell absichert. Gleichzeitig müssen die Kommunen bei Programmen unterstützt werden, um die ÖV-Angebote qualitativ weiter zu entwickeln. Hierzu sollen auch digitale Plattformangebote, die den öffentlichen Verkehr um ein Tür-zu-Tür-Bedienelement erweitern und vom Aufgabenträger koordiniert werden, Betriebszuschüsse erhalten.

Neugestaltung des öffentlichen Verkehrsraums
Viele Kommunen sind bereits dabei, die innerstädtischen Verkehrsflächen neu aufzuteilen. Gemeinden, die privaten Fahrzeugen öffentliche Flächen entziehen und diese für den Fußgänger- und Fahrradverkehr sowie für Aufenthaltsräume verfügbar machen, sollen durch Prämienzahlungen finanzielle Unterstützungen erhalten. Bestehende Pläne für Radschnellwege müssen sowohl finanziell – vor allem mit der Übernahme kommunaler Eigenanteile – abgesichert als auch in der Ausführung beschleunigt werden. Instrumente dafür sind ein Sicherungsfonds und eine zentrale Anlaufstelle für Hilfen bei Ausschreibungsverfahren und Bauüberwachung.

Errichtung von regulatorischen Experimentierräumen
Kommunen können einen Experimentierraum beantragen, der unter Maßgabe eines definierten Zweckes, der Beteiligung der Anwohner*innen sowie einer konstitutiven Evaluation rechtssicher ermöglicht wird. Ziel ist es, durch die Nutzung von Experimentierklauseln und Ausnahmebestimmungen die Ergebnisse von vielen Projekten und Laborvorhaben endlich umzusetzen und die Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen und innovationshemmende Regeln insbesondere in der Baunutzungsverordnung, in der Straßenverkehrsordnung sowie im Personenbeförderungsgesetz temporär und räumlich begrenzt außer Kraft zu setzen.

Mit dieser Kombination aus finanziellen Absicherungen, Planungsunterstützung und neuen Gestaltungsräumen können die Kommunen die Krise als Chance für eine nachhaltige Verkehrslandschaft nutzen. Hierbei gilt es, bereits gemachte Erfahrungen und Ergebnisse vergangener Projekte zügig umzusetzen und auch in experimenteller Weise auszuprobieren.

Prof. Dr. Andreas Knie Leiter Verkehrswendebüro am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Für den Beirat:
Raimund Nowak Geschäftsführer Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg
Kurt Sigl Präsident Bundesverband eMobilität
Thomic Ruschmeyer Vorsitzender Bundesverband Solare Mobilität
Dr. Wolfgang Fischer Leiter Projekt- und Clusteraktivitäten Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg
Gernot Lobenberg Leiter Berliner Agentur für Elektromobilität eMO
Peter Lindlahr Geschäftsführer HySolutions GmbH, Innovative Antriebe für Hamburg
Hermann Horster Vizepräsident DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen

Pressemitteilung als PDF

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Ein Beitrag von Andreas Knie

Wie gehen wir mit Risiken um? Abwägung ist die Kunst der Stunde. Doch dies geschieht in unserer Gesellschaft auf höchst unterschiedliche Weise. Kein Politiker traut sich dieser Tage, etwas gegen die Warnungen der Virologen und Epidemiologen zu sagen oder gar durchzusetzen. Ob Ausgangssperren, Schulschließungen, Verbot von Kultur- und Sportveranstaltungen oder die Frage, wann Spielplätze wieder geöffnet werden können: Hinter diesen politischen Entscheidungen stehen die Aussagen der Virologen. Auch wir, die Normalbürger*innen, fügen uns und haben die Kontaktsperren und Abstandsmahnungen, das Händewaschen und Maskentragen schon fest im Alltag eingebaut. Weil wir und die Politiker*innen den Experten vertrauen, konnte die Zahl der Infizierten, Schwerstkranken und der Toten in Deutschland bisher eingedämmt werden. Die Gesellschaft ist offensichtlich zu ungeheuren finanziellen Opfern und Einschränkungen von Grundrechten bereit, um weitere Todesfälle zu vermeiden.

In anderen Politikfeldern sieht der Umgang mit Risiken und das Vertrauen auf Expertenmeinungen dagegen ganz anders aus: Im Straßenverkehr starben 2019 alleine in Deutschland mehr als 3.000 Menschen direkt an den Folgen eines Verkehrsunfalls; knapp 400.000 wurden verletzt. Zwar konnte die Zahl der Verkehrstoten, die Mitte der 1960er-Jahre noch bei über 20.000 lag, in den letzten Jahrzehnten durch Geschwindigkeitsbegrenzungen innerorts und auf Landstraßen, durch Gurtpflicht und die Absenkung der Promillegrenze deutlich gesenkt – aber eben nicht auf null gebracht werden. Wer sich in den Straßenverkehr begibt, geht immer das Risiko ein, getötet zu werden – auch ohne eigene Schuld und bei aller Regelkonformität.

Jenseits von politischen Maßnahmen gibt es keinen Wunder wirkenden „Impfstoff“ gegen den Tod im Straßenverkehr. Wir haben uns an das Risiko gewöhnt; es ist Teil einer stillschweigend akzeptierten Praxis geworden. Offenkundig sind wir als Gesellschaft bereit, für die Verteidigung unserer Bewegungsfreiheit Jahr für Jahr 3.000 Menschen – das entspricht der Einwohnerzahl einer kleinen Stadt – sterben zu lassen und eine weitere Zahl von Menschen in der Größenordnung einer Großstadt teils schwere Verletzungen erleiden zu lassen. Diese Form der Bewegungsfreiheit wird immer wieder und ganz offensiv verteidigt; die Unfälle im Unterschied zu den Covid-19-Todesfällen werden als Einzelfälle und nicht als Großereignis wahrgenommen. Die Statistiken tauchen nicht täglich in den Medien auf, sondern nur maximal einmal im Jahr.

Dabei könnte die Zahl der Unfalltoten und Schwerverletzten deutlich gesenkt werden, wenn auch in diesem Fall den Experten vertraut würde und der politische Wille zur Umsetzung vorhanden wäre. Doch was in der Corona-Krise so gut funktioniert, klappt bei der Verkehrspolitik überhaupt nicht. Denn das würde bedeuten, endlich den Unfallexperten Gehör zu schenken und ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h in der Stadt, von 80 km/h auf Landstraßen und von 130 km/h auf den Autobahnen einzuführen. Letzteres hat der Deutsche Bundestag im letzten Herbst noch mit großer Mehrheit abgelehnt, obwohl Deutschland der einzige demokratische Staat der Welt ohne Tempolimit ist. Offensichtlich ist sich hier unsere Gesellschaft einig, dass die freie Fahrt in diesem Fall Tote und Verletzte kosten darf. Dabei wäre, folgte man der Logik des in der Corona-Krise weithin akzeptierten Wunsches, die Kurve der Todesfälle abzuflachen, eine Verschärfung der Tempolimits auf den Straßen und auf den Autobahnen das Ergebnis einer klugen Abwägung zwischen dem Wunsch nach unbegrenzter Bewegung und der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer*innen. Im Vergleich zu den in der Corona-Krise getroffenen Maßnahmen wären die Kosten pro vermiedenem Todesfall deutlich geringer. Dazu könnte der Verkehrsfluss verbessert, die CO2-Emissionen gesenkt werden. Die Corona-Krise sollte der Debatte um mehr Vernunft im Straßenverkehr neuen Schwung verleihen.

© Orbon Alija / E+

Ein Beitrag von Weert Canzler

Mit dem Fahrrad auf einer geschützten Fahrspur auf einer direkt zum Ziel führenden Straße unterwegs sein, das war jahrelang ein Traum von urbanen Alltagsradlern. Mehr Platz und vor allem mehr sicheren Platz für das umweltfreundliche und zugleich gesundheitsfördernde Verkehrsmittel wird seit vielen Jahren auch von Verkehrsplaner*innen gefordert. Neidvoll wird auf Kopenhagen und die niederländischen Vorreiterstädte Amsterdam, Groningen und Utrecht verwiesen. In jüngster Zeit machen Paris, Valencia, London und sogar Bogotá Furore, niemand hätte erwartet, dass diese Städte den Radverkehr zur Trumpfkarte im interurbanen Standortwettbewerb machen würden. In Deutschland aber wird um jeden Quadratmeter gekämpft, der für einen geschützten Radweg umgewidmet werden soll.

Sobald Autofahrspuren reduziert werden oder Parkplätze verschwinden sollen, ist meistens Schluss mit der Radwegeplanung. Die Angst vor den möglichen Reaktionen aufgebrachter Autofahrer – und immer auch Autofahrerinnen – ist bei vielen Kommunalpolitiker*innen und in vielen Verwaltungen groß. Diese Angst ist durchaus begründet, denn die Proteste sind tatsächlich oft laut und die protestierenden Privatautomobilisten ruhen sich nicht nur auf Gewohnheitsrecht aus. Sie können sich auch formalrechtlich auf der richtigen Seite wähnen, denn das Verkehrsrecht insgesamt und die Straßenverkehrsordnung (StVO) im Besonderen hat den „fließenden Verkehr“ zum alles dominierenden Ziel erklärt. Seit Mitte der 1950er-Jahre ist damit der Autoverkehr gemeint, ein größeres Privileg ist kaum vorstellbar. Nach StVO darf zum Beispiel eine – den Autoverkehr benachteiligende – Fahrradstraße erst dann eingerichtet werden, wenn das Fahrrad bereits das vorherrschende Verkehrsmittel ist.

Doch in der Corona-Krise ist alles anders. Social Distancing, präziser eigentlich: Physical Distancing macht es möglich. Temporäre Infrastrukturen entstehen. Weltweit werden Straßen für Autos gesperrt, Flaniermeilen für Zufußgehende eingerichtet und phantasievoll abgetrennte Fahrradspuren angelegt. Bogotá war der Pionier beim Umetikettieren von Autospuren zu Radspuren, Philadelphia und Wien haben schnell nachgezogen. Auch in deutschen Städten gibt es von einem Tag auf den anderen sogenannte „pop-up bikelanes“, auf denen genug Platz zum Radeln unter Wahrung der Abstandsregeln möglich ist. In Berlin beispielsweise wird die direkte Verbindung von Kreuzberg in die City West auf einer mit Baustellenpollern abgetrennten eigenen Radfahrspur ermöglicht.

Das Ergebnis der Umwertung und Umwidmung der Verkehrsflächen ist aus verkehrswissenschaftlicher Sicht wenig überraschend. Sie folgt einem bekannten Muster: Jede Verkehrsinfrastruktur induziert ihre Nachfrage. Wer Radverkehrsinfrastruktur sät, erntet Radverkehr. Das gilt auch für das Zufußgehen: Wo es angenehm, ruhig und auf direktem Wege möglich ist, wird auch viel zu Fuß gegangen. Die Erfahrungen mit der Umwidmung des öffentlichen Straßenraums zeigen zudem: Es geht viel mehr als oft behauptet, es geht schneller als gedacht, die Effekte sind sofort sichtbar und erhöhen die Aufenthalts- und Lebensqualität. Das gilt in und nach der Corona-Krise. Offensichtlich ist, dass es keine Rechtfertigung für das Platzprivileg des Autos gibt, außer dass es politisch seit Jahrzehnten so gewollt war. Klar ist aber auch, dass diese temporären Erfolge nur dann auf Dauer gestellt werden können, wenn der regulative Rahmen geändert wird. Das auf das Auto und seine Förderung fixierte Verkehrsrecht braucht eine Generalüberholung und die StVO muss zur Verkehrswendeverordnung werden, in der die Privilegien für das private Auto abgeschafft und der nötige Platz für seine Alternativen gesichert werden.

Bild: © CleverShuttle

Ride-Pooling-Dienste können einen Beitrag zur Verkehrswende in Städten leisten

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH

Berlin, 16.04.2020. Ride-Pooling-Dienste, die in einigen deutschen Städten auf einer digitalen Plattform Fahrten für mehrere Gäste anbieten, werden zu einem großen Teil von jungen Menschen als „Tür-zu-Tür“-Ergänzung zu Bus und Bahn genutzt. Knapp die Hälfte der Nutzenden mit einem Pkw im Haushalt könnte sich vorstellen, zukünftig auf das eigene Auto zu verzichten. Das sind die Ergebnisse einer Studie, die Forschende des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) erstmals auf Basis von Daten eines Anbieters ermitteln konnten. Andreas Knie und Lisa Ruhrort vom WZB fordern, die strengen gesetzlichen Auflagen für diese Dienste zu lockern, damit sie einen stärkeren Beitrag zur Verkehrswende leisten können.

In Deutschland wird intensiv über neue Verkehrsangebote auf digitalen Plattformen wie CleverShuttle, BerlKönig oder Moia diskutiert. Helfen diese sogenannten Ride-Pooling-Dienste, bei denen sich Kund*innen Fahrten mit anderen Menschen teilen, die Zahl der Fahrzeuge und die damit gefahrenen Kilometer und die ausgestoßene Menge an Schadstoffen in den Städten zu reduzieren? Wie werden die Dienste von den Menschen im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln angenommen? Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) bekam als erste öffentliche Forschungseinrichtung Zugang zu Fahrgastdaten eines Anbieters (CleverShuttle) und konnte diese in vier deutschen Großstädten für ein Jahr analysieren. Darüber hinaus befragten die Forschenden über 3.500 Kund*innen des Dienstes zu ihren Fahrgewohnheiten und zur Bewertung des Angebots.

Die Fahrzeuge von CleverShuttle beförderten im Jahr 2019 mehr als 1,8 Millionen Menschen in Berlin, München, Leipzig und Dresden. Anders als bei Fahrten mit dem Taxi oder dem kalifornischen Unternehmen Uber werden bei CleverShuttle bei ungefähr der Hälfte der Fahrten weitere Fahrgäste hinzugebucht, die sich ein Auto teilen. In den Nachtstunden steigt der durchschnittliche Anteil der geteilten Fahrten auf bis zu 65 Prozent.

Andreas Knie und Lisa Ruhrort ermittelten in der Studie, dass rund die Hälfe der Nutzenden von CleverShuttle zwischen 20 und 34 Jahre alt ist und den Dienst mehrmals im Monat bucht. Mehr als 30 Prozent aller Kund*innen besitzen gar keinen Führerschein und 35 Prozent haben keinen Zugriff auf ein privates Fahrzeug. Die Mehrzahl aller Fahrten (ca. 60 Prozent) dient Freizeitzwecken, rund 25 Prozent sind Fahrten zur Arbeit oder haben einen geschäftlichen Anlass. Als Vorteile nennt knapp die Hälfte der Nutzenden den niedrigen Preis und den „Tür zu Tür“-Service. Dass der Transport oft mit anderen Menschen geteilt werden muss, finden knapp 60 Prozent der Befragten „positiv“ oder sogar „sehr positiv“. Ebenfalls die Hälfte der befragten Kund*innen gab an, dass sie Busse und Bahnen genutzt hätten, gäbe es nicht das Angebot des Ride-Poolings. Ca. 10 Prozent hätten statt CleverShuttle den privaten PKW genutzt. Immerhin eine von zehn Fahrten mit dem Anbieter ersetzt also bereits eine Fahrt mit dem eigenen Auto, obwohl die Zahl der Fahrzeuge durch behördliche Auflagen immer noch eng begrenzt ist. Perspektivisch können sich rund 45 Prozent der Befragten mit PKW im Haushalt vorstellen, dass CleverShuttle das eigene Auto ersetzen könnte. „Das Potenzial der Ride-Pooling-Dienste für die Verkehrswende liegt insbesondere darin, dass sie den öffentlichen Verkehr durch einen Tür-zu-Tür-Baustein ergänzen, selbst wenn sie einige Fahrten mit dem ÖPNV ersetzen“, sagt Andreas Knie. Lisa Ruhrort, Co-Autorin der Studie, ergänzt: „Kunden haben durch Ride-Pooling-Dienste mehr Freiheit bei der Wahl der Verkehrsmittel, und es wird insgesamt attraktiver, in der Stadt ohne eigenen PKW zu leben und mobil zu sein.“

Das Forscherteam des WZB empfiehlt, die gesetzlichen Voraussetzungen für Ride-Pooling-Dienste zu lockern. Sie sollen zudem von den Kommunen koordiniert werden. Bislang sind die Angebote nur als Ausnahmen mit starken Beschränkungen zugelassen. Die Dienste benötigen nach Ansicht der Forschenden zudem eine wesentlich höhere Flottenzahl, um die gewünschten Flächen in den Städten angemessen bedienen zu können. Dabei könnten Ride-Pooling-Dienste regulatorisch klar von herkömmlichen Taxis getrennt werden: Zwar zahlen die Kunden maximal zwei Drittel des vergleichbaren Taxifahrpreises, dafür müssen sie aber in der Regel die Fahrt mit anderen Fahrgästen teilen und Umwege in Kauf nehmen. Eine wesentliche Einschränkung für den Dienst ist zudem die vorgeschriebene Rückkehrpflicht: Nach jedem ausgeführten Auftrag müssen die Fahrzeuge wieder zurück in den Betriebssitz, was zu längeren Anfahrts- und Rückkehrwegen ohne Fahrgäste führt. Um Ride-Pooling-Dienste zu unterstützen, so Andreas Knie und Lisa Ruhrort, sollten diese, unter der Maßgabe, dass sie Fahrten mehrerer Fahrgäste bündeln, von der Rückkehrpflicht befreit werden.

Die Studie „Ride-Pooling-Dienste und ihre Bedeutung für den Verkehr. Nachfragemuster und Nutzungsmotive am Beispiel von ‚CleverShuttle‘“ ist als WZB Discussion Paper erschienen.

https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2020/iii20-601.pdf

Pressekontakt

Prof. Dr. Andreas Knie
Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung https://wzb.eu/de/forschung/digitalisierung-und-gesellschaftlicher-wandel/digitale-mobilitaet (DIMO)
andreas.knie@wzb.eu

Dr. Lisa Ruhrort
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe DIMO
lisa.ruhrort@wzb.eu

Dr. Harald Wilkoszewski
Leiter Kommunikation und Pressesprecher
Tel.: 030/25491-509
harald.wilkoszewski@wzb.eu

Herausgeber

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH
Reichpietschufer 50
10785 Berlin
http://www.wzb.eu

Bild von Qube’s Pictures auf Pixabay

Berlin, 26.03.2020. „Um die Verkehrswende in Deutschland zu erreichen, muss die Anzahl der Autos verringert und der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden. Das setzt viele Kommunen unter Druck, weil sie nicht wissen, wie sie das schaffen sollen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Für drei Kommunen sollen deshalb modellhaft Maßnahmenpakete entwickelt werden, die Akteure schulen und beim Erreichen der Ziele unterstützen. Knie erklärt: „Mit diesen Ansätzen wollen wir in diesen Städten 50 Prozent weniger Autos und 50 Prozent weniger gefahrene Kilometer in fünf Jahren erreichen.“ Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das Vorhaben fachlich und finanziell mit 120.000 Euro.

Das Problem mit den Autos und dem Gesetz

In der Theorie sei die Verkehrswende in Deutschland leicht: Weniger Autofahrten, mehr öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und eine gute Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger. „In der Praxis ist es aber nicht so einfach. Denn unser Rechtsrahmen ist entstanden und entwickelt worden mit dem Willen, das Privat-Kfz zu stärken“, so Knie. „Das macht es insbesondere aus Sicht der Kommunen schwer, Umbaumaßnahmen zu ermöglichen.“ Das nötige Wissen sei vorhanden, es fehle aber häufig an Kompetenzen oder Mitarbeitern, um es umzusetzen.

Modellhaft: Gingst, Drolshagen und Leipzig

„Wir wollen mit dem Projekt ein ganzheitliches Verkehrswendekonzept auf den Weg bringen, das vor allem auch die umweltverträglichsten Verkehrsteilnehmer stärkt, die Fußgänger und Radfahrer“, erläutert Verena Exner, DBU-Referatsleiterin. Für die Kommunen übertragbare Konzepte sollen dazu entwickelt werden. „Für unser Projekt haben wir uns drei sehr unterschiedliche Regionen als Modelle ausgesucht“, so Knie. „Die Gemeinde Gingst mit 1.200 Einwohnern liegt auf Rügen und dient als Beispiel für den ländlichen Raum, Drolshagen/Lennestadt mit 25.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen für ein größeres Siedlungsgebiet, und die Stadt Leipzig in Sachsen mit 600.000 Einwohnern repräsentiert den Typ einer wachsenden Großstadt.“ Sie stünden vor ähnlichen, aber auch sehr unterschiedlichen Herausforderungen.

Umbaumaßnahmen unterstützen

Ziel des Projektes sei es deswegen, Kommunen bei Umbauarbeiten zu unterstützen und das Verändern des Rechtsrahmens in der Politik anzustoßen. Je nach Region können das zum Beispiel Hilfen beim Erstellen eines Bebauungsplans oder für den Aufbau eines Carsharingsystems für Elektroautos sein, also die organisierte gemeinschaftliche Nutzung von Autos. Für die ausgewählten Modellkommunen werde man ein Verkehrswendebüro einrichten, das kommunale Akteure schulen und beim Umsetzen der Verkehrswende unterstützen will. Durch das Einbinden etwa von Bauämtern, Investoren und Mobilitätsanbietern würden die vorgesehenen Maßnahmen auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kommune zugeschnitten. Unterstützt wird das Verkehrswendebüro von der „Allianz Verkehrswende“. Dort engagieren sich Personen und Organisationen, die an Modellvorhaben zur Elektromobilität mitgewirkt haben.

Modellhafter und praxistauglicher Umsetzungsplan

So soll eine bedarfs- und praxistaugliche „Handreichung“ entstehen, die sich hauptsächlich an die Entscheider von Kommunal- und Regionalpolitik richten soll. Es gehe um das Etablieren guter Rahmenbedingungen für das Verringern von individuellem Fahrzeugverkehr generell, das Umstellen auf elektrische Antriebe sowie das Fördern des Fuß- und Fahrradverkehrs und das Modernisieren des ÖPNV durch das Nutzen digitaler Plattformen. Zum Ende des Projekts wolle man einen modellhaften Umsetzungsplan für die Verkehrswende entwickelt haben. Die Arbeiten werden von einem Beirat unterstützt. Diesem Gremium gehören verschiedene Verbände und Personen an, die in den vergangenen Jahren in fünf Bundesländern große Modellvorhaben verantwortet haben. Sprecher sind Raimund Nowak, der Geschäftsführer der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg, und Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbandes eMobilität. Im Beirat sollen zudem Vorschläge erarbeitet werden, wie die Wirksamkeit staatlicher Förderprogramme erhöht werden kann.

Ansprechpartner bei fachlichen Fragen zum Projekt (AZ 35575): Prof. Dr. Andreas Knie, Tel. 030|254 91 588

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