Verkehrswendebüro
  • Verkehrswendebüro
    • Leitung Verkehrswendebüro
    • Beirat
  • Baukasten
    • On-Demand-Verkehr
    • Autonome Shuttles
    • Multimodale digitale Plattformen
    • Hubs/Mobilitätsstationen
    • Quartiersentwicklung/Neubauquartiere
    • Partizipative Umsetzung/ Methoden
    • Betriebliches Mobilitätsmanagement
    • Experimentierklauseln und ihre Nutzung
    • Fördermöglichkeiten und ihre Nutzung
  • Modellkommunen
    • Ländlicher Raum / Gingst
    • Suburbaner Raum / Lennestadt und Drolshagen
    • Großstadt / Leipzig
  • News
  • Hintergründe
  • FAQ
  • Kontakt
    • Impressum
    • Datenschutzerklärung
  • Suche
  • Menü Menü

Die beliebtesten FAQ der Verkehrswende

Im Folgenden werden einige häufig vorgebrachte Einwände gegen eine lokale Verkehrswende vor dem Hintergrund der aktuellen verkehrswissenschaftlichen Diskussion betrachtet.

Quellenangabe: Canzler, Weert und Knie, Andreas (2020): Die Citymaut. Neuer Freiraum für die Verkehrspolitik in Zeiten des Wandels, München (Im Erscheinen)

Die Autofahrer*innen zahlen bereits hohe Energie- und Kfz-Steuern!

Hinter diesem Einwand steht die Frage, ob und in welchem Umfang die externen Kosten des Verkehrs durch die bestehenden Steuern und Abgaben gedeckt sind. Die Abschätzung der externen Kosten des Verkehrs und das Ausmaß, in welchem diese durch Steuern und Abgaben von ihren Verursachern getragen werden, gehen weit auseinander.

Erst kürzlich hat die EU-Kommission eine auf die EU bezogene Berechnung vorgestellt, wonach die externen Kosten im Verkehr bei insgesamt 987 Milliarden Euro anzusetzen sind. Diese Summe setzt sich zusammen aus umweltbezogenen Kosten (44 %), Unfallkosten (29 %) und Kosten aus Verkehrsüberlastungen (27 %), vor allem den Kosten für Zeitverluste durch Staus. Auf den Pkw entfallen demnach 565 Milliarden Euro. Dies entspricht externen Kosten von 12 Cent je Kilometer. Durch Energie- und Fahrzeugsteuern sowie die bisher eher kaum eingeführten Mautgebühren ergeben sich zusammengenommen aktuell insgesamt 267 Milliarden Euro. Somit werden von Pkw- Nutzern etwas weniger als die Hälfte dieser Kosten gedeckt (EU-COM 2019).

Für Deutschland existieren ebenfalls eine Reihe von Studien, die zeigen, dass die Einnahmen aus der Mineralölsteuer bzw. der Kfz Steuer bei weitem nicht ausreichen, die Gesamtbelastung des motorisierten Individualverkehrs abzudecken. Allerdings gilt dies auch für die anderen Verkehrsträger wie die Schiene, die Luft und auch die Binnenschifffahrt. Die EU-Kommission nennt im Übrigen ausdrücklich die City-Maut als Option zur Erhöhung des von den Pkw-Nutzern getragenen Anteils an den Gesamtkosten. Es handelte sich aus Sicht der EU um ein geeignetes Instrument, die hohen Kosten des städtischen Verkehrs verursachergerecht und sozial ausgewogen in Rechnung zu stellen.

Einige weiterführende Links und Publikationen:

EU-COM (2019): Handbook on the external costs of transport, online: https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/studies/internalisation-handbook-isbn-978-92-79-96917-1.pdf

Bräuninger, M.; Teuber, M.-O. (2017): Die steuerliche Belastung von Benzin und Diesel – Fakten und Analysen; Kurzstudie des Instituts ETR – Economic Trends Research.

Holz-Rau, C.; Mattioli, G. (2019): CO2-Steuer – Worüber streitet die Politik überhaupt? Raum und Mobilität – Arbeitspapiere des Fachgebiets Verkehrswesen und Verkehrsplanung; TU Dortmund. Preprint einer Veröffentlichung in Internationales Verkehrswesen (Ausgabe 3/2019).

Wenn die private Fahrzeugnutzung in Städten weiter erschwert wird, leidet der Einzelhandel und droht im Wettbewerb gegen die Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese“ und gegen den Online-Handel zu verlieren!

Dieser Einwand hält sich hartnäckig, er wird gerne von Vertretern örtlicher Industrie- und Handelskammern sowie von Einzelhandelsverbänden erhoben. Er ist jedoch falsch. Es gibt eine Reihe von Studien und vielfältige Erfahrungen aus Städten verschiedener Größe und Struktur, die ganz andere Ergebnisse berichten. Sicherlich sind Millionenstädte wie London und Madrid nicht mit deutschen Mittelzentren zu vergleichen, die Zahlen zeigen aber nach Einführung von einer City-Maut wie in London und eines Parkverbots für Nichtanwohner im Innenstadtbezirk von Madrid eines sehr klar: Die Warnrufe vieler Einzelhändler*innen und ihrer Verbände verstummen, wenn die Maßnahmen wirken und die Ergebnisse spürbar sind. Von geschäftlichen Verlusten kann keine Rede sein. In beiden Fällen haben die Umsätze der betroffenen Geschäfte vielmehr zugelegt, in Madrid beispielsweise 2019, im ersten Jahr nach Inkrafttreten der Parkbeschränkungen, um knapp 10 Prozent. So bestätigte sich, was bereits 2015 in einer vergleichenden Auswertung von 12 Studien ermittelt wurde. In diesen Studien waren die Auswirkungen der Umwandlung von Seitenstreifen an Straßen und Parkbuchten zu geschützten Fahrradwegen auf den Einzelhandel untersucht worden. Darunter waren nicht nur die US-Metropolen New York, Seattle, San Francisco, Los Angeles und Portland, die kanadische Millionenstadt Vancouver sowie die australische Metropole Melbourne und das neuseeländische Auckland, sondern auch die kleinere kalifornische Universitätsstadt Davis, die mittleren neuseeländischen Großstädte Christchurch und Wellington, das irische Dublin sowie die ebenfalls kleineren Großstädte Bristol in Großbritannien und Graz in Österreich. In wenigen Fällen waren die Umsätze gleichgeblieben und in den meisten Fällen gestiegen.

Die Auswirkungen von neuen Radwegen statt Parkstreifen wurden kürzlich auch in Toronto ausgewertet, mit einem ganz ähnlichen Ergebnis: Während die Einzelhändler auch hier keine Umsatzeinbußen hatten bzw. von leichten Zuwächsen berichteten, konnten Cafés und Restaurants ihr Geschäft kräftig ausbauen (vgl. Arancibia et al 2019). Diese Erfahrungen wurden ebenso in Städten gemacht, in denen in manchen Quartieren oder in der historischen Innenstadt das private Auto weitgehend verbannt oder ganz ausgeschlossen wurde. In Europa sind die Auswirkungen auf die Geschäfte und auf die Gastronomie in den Städten Houten in den Niederlanden, Pontevedra in Spanien und Gent in Belgien gut dokumentiert. Auch in diesen eher kleineren Städten haben beide profitiert (vgl. SPON 2020).

Die Ergebnisse sind einhellig. Trotzdem überraschen sie viele Einzelhändler*innen und ihre Verbandsfunktionäre, weil sie oft auf die autofahrenden Kunden fixiert sind und die Kaufkraft der Fahrradfahrenden unter- und ihr Kaufverhalten falsch einschätzen. Fahrradfahrer*innen machen zwar selten einen Wochenendgroßeinkauf – das passiert allerdings auch dort, wo das Lastenrad stark verbreitet ist wie bspw. in Kopenhagen -, sondern sie kaufen häufiger kleinere Mengen ein. In der Summe sind sie oft die kaufkräftigeren Kunden. Außerdem ist das Einkaufen – und auch das Einkehren in Cafés und Restaurants – in einer verkehrsberuhigten und leisen Umgebung viel attraktiver. Verstärkt wird dies durch einen Trend zum „erlebnisorientierten Einkaufen“. Außerdem wird der Anteil der Kunden, die mit dem Auto kommen, erheblich überschätzt. Das belegt eine Studie, die in den Städten Bristol und Graz gemacht wurde. Die Einzelhändler*innen schätzten den Autofahreranteil unter ihren Kunden fast doppelt so hoch ein wie er tatsächlich war.

Dem Einwand, dass der Einzelhandel der Verlierer einer lokalen Verkehrswende sei, lässt sich am besten mit dem Hinweis auf die gemachten Erfahrungen anderswo und mit Aufklärung über das veränderte Kaufverhalten begegnen. Dabei hilft ein „Leitfaden für Kommunikation und Verwaltungspraxis“ unter dem Titel „Parkraummanagement lohnt sich!“ der Agora Verkehrswende. Darin finden sich auch weitere, auch deutsche Beispiele insbesondere für eine gelungene Umsetzung von Parkraummanagement (vgl. Agora Verkehrswende 2019).

Einige weiterführende Links und Publikationen:

Agora Verkehrswende (2019): Parkraummanagement lohnt sich! Leitfaden für Kommunikation und Verwaltungspraxis. Berlin. Online: https://www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2017/Parkraummanagement/Parkraummanagemet-lohnt-sich_Agora-Verkehrswende_web.pdf

Arancibia, D.; Farber, St.; Savan, B.; Verlinden, Y.; Smith Lea, N.; Allen, J.; Vernich, L. (2019): Measuring the Local Economic Impacts of Replacing On-Street Parking with Bike Lanes, in: Journal of American Planing Association. 463-481.

DER SPIEGEL (online) (2019): Best Practice: Houten, Niederlande; Brüssel; Pontevedra, Spanien; Madrid, Spanien; Paros; Gent: https://www.spiegel.de/auto/aktuell/autofrei-wie-staedte-versuchen-strassen-mit-leben-zu-fuellen-a-1284291.html

Eine Citymaut bestraft einseitig nur die Pendler*innen!

Der Einwand, dass verkehrspolitische Maßnahmen zur Verteuerung des Autofahrens insbesondere die Pendler*innen betreffen, ist tatsächlich nicht falsch. In der Tat sind Städte in ihrem politischen Wirkungskreis auf die urbanen Räume fokussiert, weil hier die Verdichtungen des Verkehrs am größten und damit auch die Flächenkonkurrenz am stärksten ausgeprägt sind. Der Handlungsdruck ist daher groß.

In Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Stadtplanung betrieben, die eine Entkernung der Innenstadtbereiche zugunsten der Stadtrandbebauungen vorsah. Hinzu kam, dass sich viele Menschen aufgrund der starken Förderung des Autos im Stadtumland angesiedelt haben, weil hier die Kosten für Haus und Wohnungen sowie generell für den Lebensunterhalt deutlich günstiger sind. Dadurch hat sich in Deutschland die bis heute typische Zersiedlung entwickelt. Damit ist auch das zentrale verkehrspolitische Thema schlechthin angesprochen. Wir müssen mit dem Ergebnis einer sich selbst verstärkenden Dynamik einer jahrzehntelangen automobilfixierten Entwicklung leben.

In den ländlichen Räumen, aber auch am Stadtrand sind Alternativen zum Auto schon deshalb nicht gegeben, weil das Auto ja die Voraussetzung für diese Art der Lebensplanung war und ist. Schon der Schulbus wird zum Problem, weil er einzelne Siedlungspunkte verbinden muss und daher zu einem zeitaufwendigen Linienbetrieb gezwungen ist, der am Ende niemandem wirklich hilft und wenig attraktiv ist. Hinzu kommt noch, dass Stadt-Land-Verflechtungen durch politische Grenzen getrennt sind und von unterschiedlichen Gebietskörperschaften verwaltet werden.

Eine gemeinsame Raumplanung eines solchen Verflechtungsraumes kommt schon aufgrund der objektiv unterschiedlichen Interessen in aller Regel nicht zustande. Es ist daher nachvollziehbar, wenn die innerstädtischen Restriktionen und Verteuerungen der Autonutzung von Pendler*innen kritisch beurteilt werden. Dabei lohnt auch hier ein vertiefter Blick auf das, was möglich ist und was nicht.

Ideen für gewerbliche Initiativen zur Versorgung der ländlichen und suburbanen Bevölkerung jenseits des eigenen Pkw mit Sharing-, Pooling- oder Mitnahmediensten auf digitalen Plattformen haben nicht nur im Finanzierungssystem des öffentlichen Verkehrs keinen Platz, sie sind auch rechtlich extrem eingeschränkt. Wer andere mitnimmt und mehr als 30 Eurocent für den Kilometer verlangt, der tut dies nach Meinung des Gesetzgebers in einer gewerblichen Absicht. Dafür braucht es eine Genehmigung, die man aber in aller Regel nicht bekommt, weil das örtliche Taxi- und Mietwagengewerbe diese bereits hat. Taxis müssen dafür eine Reihe von Auflagen erfüllen, unter anderem haben die Fahrer*innen einen Personenbeförderungsschein vorzuweisen, die Fahrzeuge sind gesondert versichert und die Tarife müssen genehmigt werden. Mietwagen mit Chauffeur, gleichsam eine Spielart des Taxis, fahren zwar ohne festen Tarif, aber mit der Auflage, nach jedem Einsatz an den Betriebssitz zurückzukehren.

Grundlage für diese Festlegungen ist das Personenbeförderungsgesetz (PBefG), das aus den 1930er-Jahren stammt, im Kern bis heute unverändert gilt und faktisch jede unternehmerische Initiative beim Personentransport im Keim erstickt. Eine Reihe von Pilotprojekten wie „Mobilvielfalt“ in Nordhessen oder „Carla“ in Thüringen versuchen in den Lücken der Regulierung oder unter Nutzung der Experimentierklausel Angebote zu etablieren, bei denen private Autobesitzer*innen andere gegen Entgelt mitnehmen. Der Genehmigungsprozess ist allerdings extrem aufwendig. Darin wird beispielsweise als Voraussetzung der Erwerb eines Personenbeförderungsscheins festgelegt.

Die Ansätze sind im Übrigen nicht miteinander verbunden, zu stark regional geprägt und daher auch nicht übertragbar oder gar skalierbar. Man muss nicht unbedingt Freund des US-amerikanischen Plattformanbieters Uber sein, um anzuerkennen, dass hier dringender Reformbedarf herrscht. Die Experimentierklausel des bestehenden Gesetzes bietet keine ausreichende Sicherheit und ist eben immer zeitlich begrenzt.

Im Bundesverkehrsministerium wird an einer Reform des PBefG gearbeitet, die noch in der Legislaturperiode bis 2021 verabschiedet werden soll. Unter anderem geht es darum, dem ländlichen Raum bei der Regulierung mehr Spielraum zu geben und einen Kilometerpreis für Mitnahmedienste bis zu 65 Cent zu ermöglichen. Damit könnten professionelle Angebote entwickelt und im Rahmen von gemeinwirtschaftlich orientierten Unternehmensmodellen etabliert werden.

Viel interessanter als einige punktuelle Verbesserungen des PBefG wäre ein eigenes Gesetz für Mobilitätsdienstleistungen, das den Einsatz von E-Fahrzeugen wirkungsvoll integriert. Inspiriert wird dieser Ansatz vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das 1999 von der rot-grünen Bundesregierung eingeführt wurde und Privatpersonen die Möglichkeit gab, selbst Strom zu produzieren und in das öffentliche Netz einzuspeisen. Ein solches Elektromobilitätsgesetz wäre das fehlende Glied in der Regulierung einer beschleunigten Elektrifizierung des Verkehrs in ländlichen und kleinstädtischen Räumen. In diesem Fall könnten Besitzer von E-Fahrzeugen „Sitzplätze2 auf einer Plattform anbieten, die dann von Nutzer*innen auf der gleichen Plattform gebucht und genutzt werden (Borcherding, Knie 2020; Borcherding et al. 2019).

Ebenfalls in Pilotprojekten werden bereits teilautonome Shuttlebusse getestet. Sie folgen dem aus dem Luftverkehr bekannten sogenannten Hub-and-Spoke-Prinzip: Busse fahren auf Wunsch direkt vor die Haustür und bringen die Passagiere an einen Hub, also einen Verkehrsknotenpunkt. Auch für diese innovativen Verkehrsangebote gelten hohe rechtliche Hürden. Da es noch keine Typengenehmigung für diese teilautomatischen Busse gibt, muss für jedes Fahrzeug einzeln eine Ausnahmegenehmigung nach § 21 und § 70 der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) beantragt werden. Die Strecken selbst werden ebenfalls begutachtet und eigens zugelassen. Der Shuttle braucht dann noch eine ausreichende Beschilderung gemäß den Regelungen des § 29 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Um als Teil des öffentlichen Verkehrs unterwegs zu sein, benötigt der Betrieb schließlich eine Genehmigung als eigenwirtschaftlicher Linienverkehr nach § 42 des Personenbeförderungsgesetzes. Die Erlaubnis eines solchen Betriebs wird in aller Regel mit einer Reihe von Auflagen versehen (wie etwa einer Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf maximal 15 Stundenkilometer). Außerdem werden strenge Anforderungen an das technische Begleitpersonal gestellt. Bislang sind diese Pilotversuche ausschließlich mit einer Person an Bord – dem sogenannten Operator – genehmigt worden. Allerdings ist für das Jahr 2021 vorgesehen, mehrere Fahrzeuge einer kleinen Flotte, die von einer Zentrale überwacht wird, ohne Personal an Bord zu betreiben. Allein in Deutschland sind in mehr als 20 Pilotvorhaben solche Shuttles unterwegs. Die Akzeptanz ist durchweg sehr hoch.

Interessant ist, dass gerade Ältere Interesse an dieser Verkehrsform entwickeln und fest mit einem Regelbetrieb rechnen. Befragungen der Testnutzer*innen zeigen: Lässt sich die Höchstgeschwindigkeit noch etwas steigern, dürfte auch die überwiegende Mehrzahl der bisher beförderten Menschen mit der erlebten Performance hochzufrieden sein (Nuts One 2020; Nordhoff 2019).

Was diesen Projekten neben einem geeigneten rechtlichen Rahmen ebenfalls fehlt, sind nachhaltige Finanzierungsformen für einen Dauerbetrieb. Bislang werden sie im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen finanziert, die immer nur für zwei bis drei Jahre laufen und in der Regel den Kommunen und Verkehrsunternehmen Eigenanteile an der Finanzierung abverlangen, welche diese oft nicht leisten können. Solche Angebote sollten daher Teil des bestellten Verkehrs werden und analog dem Schienennahverkehr von Bund und Ländern finanziert werden. Dann bestünde die Aussicht, einen Shuttleservice als eine flexible und den modernen Lebenspraktiken entsprechende Angebotsform zu etablieren. Schließlich gehören auch mehr Park-and-ride- sowie Bike-and-ride-Kapazitäten mit guten Umsteigemöglichkeiten für Pendler*innen zu den Alternativen. Das ist hinlänglich bekannt und bleibt eine Daueraufgabe.

Aber nicht nur die Modalitäten des täglichen Pendelns und die Suche nach Alternativen zum privaten Auto sind neu zu überdenken. Über die Anlässe des täglichen Fahrens zur Arbeit wird spätestens seit der Pandemie neu diskutiert. Der Lockdown hat gezeigt, dass die Arbeitsprozesse in höherem Maße als bisher vermutet auch ohne ständige Anwesenheit im Büro organisiert werden können. Das DIW hatte schon vor dem Lockdown im Frühjahr 2020 ausgerechnet, dass rund 40 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse prinzipiell auch ortsungebunden möglich sind (DIW 2019). Das zwangsweise eingeleitete Realexperiment des Lockdowns hat nun gezeigt, dass dem tatsächlich so ist und das Arbeiten im Homeoffice funktioniert. Nicht nur Büroarbeiten, sondern auch eine Vielzahl von operativen Tätigkeiten sind durch digitale Vernetzungen im Homeoffice möglich.

Auf der Basis von Umfragen von WZB und infas ist davon auszugehen, dass eine vollständige Rückkehr zur alten Arbeitswelt unwahrscheinlich ist. Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen werden sich voraussichtlich mehr auf flexible Arbeitsort- und Arbeitszeitmodelle einigen. Das bedeutet, dass die Fahrtanlässe zurückgehen werden. In besonders dichten Verflechtungsräumen ist zudem mit einer zeitlichen Entzerrung zu rechnen, wenn Beschäftigte erst gegen Mittag an ihrem Büroarbeitsplatz erscheinen, um lediglich an einer Besprechung teilzunehmen. Die Effekte sind verkehrlich durchaus relevant, für Pendler*innen allemal: Wird nur durchschnittlich ein Tag pro Woche zu Hause oder an einem günstig zu erreichenden „dritten Ort“, etwa in einem Co-Working-Büro am Stadtrand, gearbeitet, werden bis zu einem Fünftel weniger Pendelkilometer zurückgelegt (Hammermann, Voigtländer 2020; Kunze et al. 2020).

Einige weiterführende Links und Publikationen:

Borcherding, A.; Knie, A. (2020): Wie Autos den ÖV auf dem Land retten können. In: Tagungsband MobilEr 2020 – Mobilität – Erreichbarkeit – Ländliche Räume und die Frage nach der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Hrsg.: Thünen-Institut für Ländliche Räume, März 2020, S. 55–58.

Borcherding, A.; Knie, A.; Ruhrort, L. (2019): Über-Land. Mit Autos den öffentlichen Verkehr im ländlichen Raum retten. In: Internationales Verkehrswesen (71) 2/2019, S. 10. Infas/ WZB (2020): Mobilitätsreport 02, Ergebnisse aus Beobachtungen per repräsentativer Befragung und ergänzendem Mobilitätstracking bis Ende Juni, Ausgabe 30.07.2020, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF. Online: https://www.infas.de/fileadmin/user_upload/MOBICOR_Mobilit%C3%A4tsreport_2_202008017.pdf

Hammermann, A.; Voigtländer, M. (2020): Bürobeschäftigte in Deutschland. In: IW trends 2/2020, Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung. 47. Jg., Köln Online: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW-Trends/PDF/2020/IW-Trends_2020-03-04_Hammermann-Voigtländer.pdf

Kunze, F.; Hampel, K.; Zimmermann, S. (2020): Homeoffice in der Corona-Krise – eine nachhaltige Transformation der Arbeitswelt? Policy paper 02 v. 16.7. 2020. Universität Konstanz. Online: https://www.progressives-zentrum.org/wp-content/uploads/2020/07/Studie_Home-Office-in-der-Corona-Krise.pdf

Nordhoff, S. (2019): User Acceptance of Automated Vehicles. Dissertation. Delft.

Nuts One (2020): Intermodale Nutzergruppen. Profile und Potentiale. Unveröffentlichte Studie. Berlin.

Der öffentliche Verkehr ist keine Alternative zum eigenen Auto und auch viel zu teuer!

Man muss kritisch konstatieren, dass in der Tat die bestehenden Angebote und die dahinterliegenden Betreiberphilosophien nicht ausreichen. Die derzeitige Tendenz zeigt zudem erhebliche Unterschiede zwischen den Raumtypen: in den Großstädten wächst der öffentliche Verkehr (ÖV) mit der Zahl der Einwohner*innen, in den Klein- und Mittelstädten stagnieren die Fahrgastzahlen und in ländlichen Räumen gehen die Nutzerzahlen deutlich zurück (VDV 2020). Und dies obwohl in die Ertüchtigung des Wagenparks und bisweilen auch in den Streckenausbau investiert wurde. Immer mehr vom Gleichen scheint sich nicht auf eine Steigerung der Attraktivität auszuwirken. Insofern stimmen die Einwände gegenüber dem ÖV und auch mit der oft gebrauchten Formel: „Bitte nutzen Sie doch lieber Bus und Bahn“ lässt sich die überwiegende Mehrzahl der Menschen tatsächlich nicht überzeugen.

Ein Problem ist die „unvollständige Reisekette“. Ein Angebot ausschließlich von einer Haltestelle zu einer anderen Haltestelle ist nur dort wirklich akzeptabel, wo diese Einstiegs- und Ausstiegspunkte in hoher räumlicher Dichte verfügbar sind. Als Faustformel gilt: nicht länger als 100 Meter. Wo das nicht der Fall ist, wird die „erste und letzte Meile“ nicht abgedeckt. Die innovativen Dienste rund um die Erweiterung des klassischen ÖPNV müssen gestärkt werden. Alleine auf die reinen Bus- oder Bahnverkehre zu fokussieren, verfehlt das Ziel, weil auch beispielsweise die Erhöhung der Bedienfrequenz alleine nicht ausreicht. Ein moderner öffentlicher Verkehr benötigt daher eine Punkt-zu-Punkt Bedienung und muss dazu Kooperationspartner finden, die das Angebot „nahtlos“ verlängern. Dies könnten bereits heute teilautomatische Shuttles sein, die später zu autonomen Flotten entwickelt werden und die Bedienung der letzten Meile übernehmen. Ebenfalls verfügbar sind Pooling-Dienste, die auf digitalen Plattformen sehr flexibel eine hohe Haus-zu-Haus-Bedienqualität entwickeln.

Ob der ÖV für den Kunden zu teuer ist bzw. als zu teuer empfunden wird, ist für die Nutzung nicht prioritär. Zudem hängt das Preisempfinden von ganz verschiedenen Dingen ab und kann nicht wirklich objektiviert werden. Evidente Belege, dass ein kostenfreier ÖV eine dauerhaft höhere Nutzungsfrequenz hat, gibt es nicht.

Bei der Einschätzung wie teuer der ÖV ist, wird in der Regel das Auto als Referenz herangezogen. In diesem Vergleich kann sich der ÖV nur schwer behaupten, weil die eigenen Autokosten systematisch verzerrt wahrgenommen werden. Üblicherweise rechnet man nur die so genannten Out-of-Pocket-Kosten, also die Kosten des Tankens und des Parkens sowie manchmal noch die Straftickets in seine persönliche Bilanz ein. Die Versicherung und die Kfz-Steuer oder gar der Wertverlust finden dagegen kaum Berücksichtigung. So liegt die persönliche Kostenberechnung im Durchschnitt ungefähr bei der Hälfte der tatsächlichen Kosten (vgl. Canzler 2000; Andor et al. 2020). Die Bereitschaft, sich bei den Autokosten etwas vorzumachen, ist offenbar immer noch groß. ÖV-Anbieter haben es da schwer, sie können allerdings immer aufklären. Berechnungstools, die auf verschiedenen Portalen zu finden sind, können dabei helfen (z.B.: https://www.adac.de/infotestrat/autodatenbank/autokosten/default.aspx). Auf Basis der tatsächlichen Kosten zeigt sich dann, dass selbst vergleichsweise teure ÖV-Tarife viel günstiger sind als das eigene Auto, dazu gibt es einige übersichtliche grafische Darstellungen (s.: https://www.vcd.org/themen/klimafreundliche-mobilitaet/verkehrsmittel-im-vergleich/).

Um mehr Fahrgäste zu gewinnen, sind aber nicht nur günstigere, sondern vor allen Dingen nachvollziehbare Tarife eine Voraussetzung. Für intermodale Angebote bieten sich Pakettarife an, die analog zum Telekommunikationssektor flexibel und an den Bedürfnissen der Kunden orientiert insbesondere ein hohes Maß an Flexibilität erlauben.

Die Kosten einer Zeitkarte für den einzelnen Fahrgast lassen sich über Rabattanreize wie beim Jobticket oder auch durch direkte Zuschüsse vom Arbeitgeber reduzieren, so der Wille da ist. Hier sind einige Unternehmen schon vorangegangen und Leitfäden zur Umsetzung gibt es auch (z.B.: MIE-Praxisleitfaden_Betriebliches_Mobilitätsmanagement).

Der ÖV ist zu schlecht und zu teuer und daher keine Alternative zum eigenen Auto!

Dass der ÖV als alltägliches Verkehrsmittel mangelhaft ist, hört man oft von denen, die ihn nicht benutzen. Während der Pandemie wurde zusätzlich behauptet, dass die Menschen aus Angst vor Ansteckung Busse und Bahnen meiden würden. Aber wie sehen die Nutzungszahlen tatsächlich aus? Wenn man einrechnet, dass während des Sommers 2020 kaum städtische Tourist*innen unterwegs waren und mehr als ein Viertel der Gutverdienenden regelmäßig im Homeoffice arbeitete, dann hat der Nahverkehr bereits im August sein Vorjahresniveau fast wieder erreicht (infas et al. 2020b). Doch insgesamt bleiben die Anteile des öffentlichen Nahverkehrs mit durchschnittlich 15 Prozent der täglichen Wege überschaubar. Auch in Berlin mit einem der weltweit besten Netze von U- und S-Bahnen, Trams, Bussen und sogar Fähren liegt der Anteil des ÖPNV an den täglichen Wegen letztlich nur bei rund 28 Prozent. Wenn man die Schüler*innen) abrechnet, besitzen von den sonstigen ungefähr 3,3 Millionen Einwohner*innen lediglich rund 750.000 ein Abo für den ÖV (SrV/SenUVK 2020). Die Corona-Pandemie hat den öffentlichen Verkehr im Frühjahr des Jahres 2020 hart getroffen, insgesamt wurden jedoch die Defizite und Probleme des ÖV nur verstärkt. Man muss kritisch konstatieren, dass die bestehenden Angebote und die dahinterliegenden Betreiberphilosophien nicht geeignet sind, höhere Marktanteile zu generieren. Im Frühjahr 2020 hat der Europäische Rechnungshof mit Blick auf die bisherigen Anstrengungen eine ernüchternde Bilanz zur Wirksamkeit der von der EU finanzierten Programme für eine Verbesserung des öffentlichen Verkehrs in europäischen Städten gezogen. In der Zusammenfassung des Sonderberichts heißt es:

„Obwohl die Städte eine Reihe von Initiativen ergriffen haben, um die Qualität und Quantität des öffentlichen Nahverkehrs zu erhöhen, ist die Pkw-Nutzung nicht signifikant zurückgegangen. Einige Luftqualitätsindikatoren haben sich geringfügig verbessert, aber die Treibhausgas-Emissionen durch den Straßenverkehr sind stetig gestiegen, und die Sicherheitsgrenzwerte der EU werden immer noch in vielen Städten überschritten.“ (Europäischer Rechnungshof 2020: S. 5)

Dieses ernüchternde Resümee gilt auch und besonders für Deutschland. Der Autobestand ist hierzulande laut dem zuständigen Kraftfahrt-Bundesamt beständig um 2 bis 3 Prozent pro Jahr gewachsen. Ende 2019 waren mehr als 48 Millionen Pkw zugelassen. Als Faustformel kann man formulieren: In den Großstädten wächst der ÖV im Verhältnis zur Zahl der Einwohner*innen, in den Klein- und Mittelstädten stagnieren die Fahrgastzahlen, und in ländlichen Räumen gehen die Nutzer*innenzahlen beständig zurück (VDV 2019). Und dies, obwohl in die Ertüchtigung des Wagenparks und teilweise auch in den Streckenausbau investiert wurde. Immer mehr vom Gleichen scheint keine Steigerung der Attraktivität zu bewirken. Insofern sind die Einwände gegenüber dem ÖV nicht völlig unberechtigt.

Die oft gehörte Aufforderung „Bitte nutzen Sie doch lieber Bus und Bahn“ verfängt bei der überwiegenden Mehrzahl der Autofahrenden nicht. Diese „Großgefäße“ stammen aus einer Zeit, bevor das Auto zum Massenverkehrsmittel und zum Vergleichsmaßstab wurde. Hier zeigt sich ganz konkret, dass sich die mit dem Auto eng verknüpften individualisierten und raumgreifenden Lebenspraktiken nicht durch Imagekampagnen oder durch noch so detaillierte Nahverkehrspläne zurückdrehen lassen. In der verkehrspolitischen Debatte wird der klassische öffentliche Verkehr in Hinblick auf sein reales Potenzial als Rückgrat der Verkehrswende daher gerne überschätzt.

Ein Angebot ausschließlich von einer Haltestelle zu einer anderen Haltestelle ist nur dort wirklich akzeptabel, wo diese Einstiegs- und Ausstiegspunkte in hoher räumlicher Dichte verfügbar sind. Die Entfernung zu öffentlichen Verkehrsmitteln sollte – so die Erfahrungen aus der Verkehrsforschung – nicht länger als 100 Meter sein, doch das findet man in aller Regel nur in verdichteten Großstädten. Allein mit liniengeführten und nach Fahrplan getakteten Bussen und Bahnen wird die Verkehrswende nicht gelingen. Die Gesellschaft hat sich über den öffentlichen Verkehr hinausentwickelt.

Mit dem Auto im Kopf hat sich eine sehr raumgreifende Arbeits- und Lebenspraxis etabliert. Die Menschen werden nicht wieder zum Status quo ante zurückkehren. Daraus folgt, dass innovative Angebote rund um den klassischen ÖPNV gestärkt werden müssen. Es genügt nicht, den Fokus dabei lediglich auf die reinen Bus- oder Bahnverkehrsangebote zu legen. So reicht etwa die Erhöhung der Bedienfrequenz alleine nicht aus. Ein moderner öffentlicher Verkehr benötigt eine Punkt-zu-Punkt-Bedienung und muss dazu Kooperationspartner(innen) finden, die das bisherige Angebot »nahtlos« verlängern.

Diese Rolle könnten bereits heute teil-automatische Shuttles einnehmen, die später zu autonomen Flotten entwickelt werden und die Bedienung der »ersten und letzten Meile« übernehmen. Zusätzliche Potenziale bieten Pooling-Dienste, die auf digitalen Plattformen flexibel eine hohe Haus-zu-Haus-Bedienqualität erlauben (vgl. ausführlich Canzler et al. 2019; Daum 2019).

Aber bislang fehlen solche Angebote. Es herrscht die Auffassung vor, dass Busse und Bahnen als Teil der Daseinsvorsorge zwar mit staatlichen Mitteln unterstützt werden sollen, dass aber die erste und letzte Meile eigenwirtschaftlich zu organisieren sei. Daher werden allein für den Regionalverkehr jedes Jahr mehr als neun Milliarden Euro vom Bund an die Länder gezahlt, damit dort in der Regel schienengebundene Verkehrsangebote vorgehalten werden, die aber nur von Bahnhof zu Bahnhof reichen. Die alles entscheidenden letzten Kilometer fehlen einfach.

Gegenstand der Ausschreibungen sind nicht Gesamtmobilitätsangebote, sondern die Erbringung der günstigsten Zug- oder Buskilometer zwischen Haltestellen. Der Zuschlag erfolgt dann für 10 bis 15 Jahre. Das damit finanzierte Angebot ist für den Vertragszeitraum praktisch eingefroren und kann nicht verändert werden. Denn die bei der Ausschreibung unterlegenen Kandidaten könnten ansonsten die Möglichkeiten des Widerspruchs erhalten. In der Konsequenz werden damit Innovationen wie Haus-zu-Haus-Verbindungen systematisch ausgeschlossen. Es wird ein Regionalbahnsystem festgeschrieben, das in einer durch den vorherrschenden Autobesitz entstandenen Zersiedlungslandschaft nur eine sehr geringe Relevanz besitzt.

Ein Nulltarif – also die immer wieder gerne geforderte kostenfreie Nutzung des öffentlichen Verkehrs – ist da auch nicht das erhoffte Wundermittel. Ob der ÖV für die Kund*in zu teuer ist oder als zu teuer empfunden wird, ist für seinen Erfolg nicht allein entscheidend. Zudem hängt das Preisempfinden von ganz verschiedenen Dingen ab und lässt sich nicht wirklich objektivieren. Belege, dass ein kostenfreier ÖV dauerhaft eine signifikant höhere Nutzungsfrequenz hat, gibt es bisher nicht. Das größte diesbezügliche Experiment wurde im Frühjahr 2020 in Luxemburg gestartet, valide Ergebnisse werden aufgrund der Pandemie aber erst im Sommer 2021 erwartet. Aus Tallinn, wo der Nulltarif bereits vor Jahren eingeführt wurde, wird zwar ein leichter Zuwachs bei den Nutzungszahlen gemeldet, aber offenbar nicht zulasten des Autoverkehrs, denn der hat sogar noch zugenommen.

Es bleibt im Kern immer eine subjektive Einschätzung, was wem wie viel wert ist. Die Gefahren der verzerrten Kostenwahrnehmung und von unbewussten Selbstdeutungen sind groß. Bei der Einschätzung, wie teuer der ÖV ist, wird in der Regel jedenfalls das Auto als Referenz herangezogen. In diesem Vergleich kann sich der ÖV meistens nicht behaupten, da die eigenen Autokosten systematisch verzerrt wahrgenommen werden. Üblicherweise rechnet man nur die sogenannten Out-of-Pocket-Kosten, also die Kosten für das Tanken und das Parken sowie manchmal noch die Straftickets, in seine persönliche Bilanz ein. Die Versicherung und die Kfz-Steuer oder gar der Wertverlust finden dagegen kaum Berücksichtigung. So liegt die persönliche Kostenberechnung im Durchschnitt ungefähr bei der Hälfte der tatsächlichen Kosten (vgl. Canzler 2000; Andor et al. 2020). Die Bereitschaft, sich bei den Pkw-Kosten etwas vorzumachen, ist hoch.

ÖV-Anbieter haben es da schwer, sie können nur immer wieder aufklären. Berechnungstools, die auf verschiedenen Portalen zu finden sind, sind dabei hilfreich (z. B. vom ADAC, siehe ADAC 2020). Auf Basis der tatsächlichen Kosten zeigt sich dann, dass selbst vergleichsweise teure ÖV-Tarife wesentlich günstiger sind als das eigene Auto; dazu gibt es einige übersichtliche grafische Darstellungen (VCD 2020). Die Kosten einer Zeitkarte für den einzelnen Fahrgast lassen sich über Rabattanreize wie beim Jobticket oder auch durch direkte Zuschüsse vom Arbeitgeber reduzieren, falls der Wille vorhanden ist. Hier sind einige Unternehmen schon vorangegangen, und Leitfäden zur Umsetzung gibt es auch (siehe z. B. Mittelstandsinitiative 2019). Eine Voraussetzung, um mehr Fahrgäste zu gewinnen, sind vor allen Dingen nachvollziehbare Tarife, die mit zeitgemäßen Medien arbeiten.

Zur Erschließung neuer Kund*innengruppen ist es nicht hilfreich, Fahrkartenautomaten mit ausschließlicher Barzahlung anzubieten, die zudem mit anderen Angeboten wie Leihrädern oder Pooling-Diensten überhaupt nicht vernetzt sind. Angesichts der alltäglichen Bedeutung des mobilen Internets kann der Papierfahrschein nicht länger das Maß der Dinge sein. Für intermodale Angebote bieten sich integrierte Tarife an, die analog zum Telekommunikationssektor flexibel und an den Bedürfnissen der Kund*innen orientiert sind und damit ein hohes Maß an Flexibilität erlauben. Technisch ist es bereits jetzt möglich, einfach einzusteigen und sich um Tarife und Konditionen nicht zu kümmern (Stichwort: Be-in / Be-out). Bezahlt wird, was genutzt wird, und je öfter und länger man fährt, umso günstiger wird der Kilometerpreis.

Einige weiterführende Links und Publikationen:

ADAC (2020): Autokosten im Vergleich. Online: https://www.adac.de/infotestrat/autodatenbank/autokosten/default.aspx

Andor, M.; Gerster, A.; Gillingham, K.; Horvath, M. (2020): Running a Car Costs Much More Than People Think – Stalling the Uptake of Green Travel. Nature 580: 453-455. DOI: 10.1038/d41586-020-01118-w

Canzler, W. (2000): Das Auto im Kopf und vor der Haustür: zur Wechselbeziehung von Individualisierung und Autonutzung. In: Soziale Welt, 51. Jg., Heft 2, S. 191-207.

Daum, T. (2019): Das Auto in digitalen Kapitalismus. München.

Mittelstandinitiative (MIE) (2019): Praxisleitfaden Betriebliches Mobilitätsmanagement; https://www.ihk-krefeld.de/de/media/pdf/innovation/mobilitaet/praxisleitfaden-betriebliches-mobilitaetsmanagement-vom-dihk.pdf

VCD (2020): Verkehrsmittel im Vergleich – eine Übersicht. Online: https://www.vcd.org/themen/klimafreundliche-mobilitaet/verkehrsmittel-im-vergleich/

Das Fahrrad ist kein Hauptverkehrsmittel, die Benutzung zu gefährlich und nur für wenige wirklich attraktiv!

Die Zahl der Fahrradfahrenden hat sich in Deutschland in den letzten 10 Jahren knapp verdoppelt. In den Städten werden heute bereits mehr als 15 Prozent der täglichen Wege mit dem Rad unternommen. Die Werte schwanken deutlich und liegen im Norden in der Regel deutlich höher als im Süden.

Das Fahrrad ist zwar tatsächlich nicht für jede*n und auch nicht für alle Gelegenheiten geeignet, dennoch lässt sich ein großer Teil der täglichen Wege mit diesem Verkehrsmittel bewerkstelligen. Allerdings muss eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein. Denn der Einwand, das Radfahren gefährlich sei und es das nur wenige Unverzagte tun, stimmt vielerorts. Das muss aber nicht so bleiben. Ein Blick ins Nachbarland Niederlande zeigt, dass dort alle Personengruppen viel und auch werktags mit dem Rad fahren. Vom Schulkind bis ins hohe Alter sieht man wirklich alle auf den Radwegen, sie sind in unterschiedlichem Tempo, ihrem eigenen Tempo, unterwegs.

Die niederländische Radkultur hat Tradition, doch sind die vielen Radwege, die Vorzugsbereiche vor Ampeln und die großen, hellen Radparkhäuser vor oder unter den Bahnhöfen erst relativ neu. Bis in die 1980er Jahre waren die niederländischen Städte ebenso autogerecht wie auch in den anderen Ländern. Erst nach einer Reihe Empörung hervorrufender tödlicher Unfälle mit Kindern kam der Schwenk zu mehr Platz für das Rad. Die niederländische Philosophie lautet seitdem: Radwege sollen sicher sein und die Radfahrenden müssen immer gut gesehen werden können. Diese Philosophie und die einschlägigen Planungserfahrungen verbreiten verschiedene Organisationen mit hilfreichen Guidelines und Planungshilfen (z.B.: https://crowplatform.com/#downloads ; https://www.cycling.nl/en/news). Dass die Niederlande mit ihrer proaktiven Fahrradpolitik nicht mehr allein sind und Nacheiferer gefunden haben, zeigt sich mittlerweile in vielen Ländern. Es gibt sehr viele Leuchtturmprojekte, am bekanntesten ist sicherlich Kopenhagen (s. auch Becker et al. 2018).

In Kopenhagen ist in mehr als 30 Jahren aus den damals üblichen autogerechten Strukturen eine Fahrradinfrastruktur entstanden. Für diese Implementierungsprozesse gibt es nunmehr ein englisches Verb: copenhagenize (siehe auch: http://www.copenhagenize.com).

Verkehrsplaner*innen aus aller Welt schauen nach Kopenhagen, wobei die Stadt nicht als Vorbild für die Verkehrswende taugt, weil der MIV-Anteil mit 27 Prozent der Wege beispielsweise über Berlin liegt, der Kfz Bestand sehr hoch und der ÖV-Anteil von 18 Prozent unterdurchschnittlich ist. Der Rad-Boom geht hier wie übrigens auch in Münster und Freiburg zu Lasten des öffentlichen Verkehrs, während die Bedeutung des Autos nicht schwindet. Trotzdem ist Kopenhagen wie viele niederländische Städte ein Beleg dafür, dass auch weniger radaffine Leute in ihrer Alltagsmobilität auf das Fahrrad umsteigen, wenn sie sehen, dass es viele um sie herum auch tun. Dafür ist es nötig, dass neben einem Netz sicherer Radwege auch eine Schwelle des Radverkehrsanteils erreicht wird, damit das Radeln in der Stadt sichtbar wird. Erst dann sinkt das subjektive Unsicherheitsgefühl.

Um dem verbreiteten Unsicherheitsgefühl entgegenzuarbeiten, wurden während der Corona-Pandemie in Berlin und in anderen Städten weltweit kurzfristig provisorisch gesicherte Radwege auf meistens breiten Autostraßen angelegt. Diese so genannten „Pop-up“-Fahrradspuren sind in der Regel durch Absperranlagen und bewegliche Poller von den Autofahrspuren getrennt. Eigentlich waren, wie im Fall Berlins, diese Strecken schon sehr lange geplant und durch ein „Mobilitätsgesetz“ eigens im parlamentarischen Prozess legitimiert. Aber selbst in Berlin kam die Realisierung nicht zustande, weil die Straßenverkehrsordnung auf den ungehinderten Verkehrsfluss achtet und eine so breite Abtrennung der Verkehrsfläche für Fahrräder den Autoverkehr behindert. Erst der Lockdown schaffte die Voraussetzung für die Realisierung, da einerseits die Hygienerichtlinien mehr Abstand auch zwischen den Fahrradfahrenden vorsah, dass aber der Verkehrsfluss durch den deutlichen Rückgang auch an Kfz-Fahrten nicht mehr gefährdet war. Gleichsam über Nacht „poppten“ dann die Fahrradstreifen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf, die aber bereits seit Jahren geplant waren.

Zwischenzeitlich gibt es auch ein Handbuch für Kommunen zur Unterstützung bei der Einrichtung solcher Wege (siehe Mobycon 2020). Die provisorischen Wege müssen in dauerhafte, geschützte Fahrradstreifen umgewandelt werden. Außerdem bedarf es einer Verbindung der Weg zu einem zusammenhängenden Wegenetz und wie am Beispiel Kopenhagen gezeigt eine Entschärfung von Kreuzungen und Querungen.

Einige weiterführende Links und Publikationen:

Becker, A.; Lampe, St.; Negussie, L.; Schmal, P.; Chelola, I. (2018): Fahr Rad! Die Rückeroberung der Stadt. Basel.

Mobycon (2020): Temporäre Einrichtung und Erweiterung von Radverkehrsanlagen. In 10 Tagen mehr Platz fürs Rad in der Stadt. Delft [https://www.mobycon.nl/wp-content/ uploads/2020/04/6796_Kreuzberg_Handbuch-V4.pdf].

Verkehrswendebüro

Stärkung einer nachhaltigen Verkehrswende in drei Beispielkommunen mittels einer Baukastenentwicklung und flankierenden Qualifizierung kommunaler Akteure.

©2020-2021 Verkehrswendebüro • Kontakt • Impressum • Datenschutzhinweise
Nach oben scrollen