Mit Milliarden will der Staat Busse und Bahnen aus der Coronakrise retten und so auch Alternativen zum Auto stärken. Doch der öffentliche Verkehr ist in jetziger Form nicht zukunftsfähig, findet Transportexperte Andreas Knie – und fordert radikales Umdenken. Die Corona-Pandemie hat für den öffentlichen Nahverkehr gravierende Folgen. Unternehmen verzeichnen Fahrgastverluste von mehr als 80 Prozent. Nun soll ein Schutzschirm über Busse und Bahnen gespannt werden, der Bund stellt den Ländern im Konjunkturpaket rund 2,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Betriebsverlusten bereit. Für die Bahn gibt es sechs Milliarden Euro frisches Eigenkapital.

Die Deutschen haben während des Corona-Lockdowns das Zufußgehen wiederentdeckt. Sie legten fast jeden dritten Weg zu Fuß zurück. Das beliebteste Fortbewegungsmittel blieb jedoch das Auto. Mit dem Hochfahren der Aktivitäten könnte der Pkw sogar stärker genutzt werden als vor der Pandemie. In einer Umfrage gab rund ein Drittel der Befragten an, aus Angst vor dem Virus statt Busse und Bahnen in der nächsten Zeit lieber das Auto zu nehmen. Ein Forscherteam unter Leitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hatte von Mitte März bis Mitte Mai 2020 rund 1.000 Menschen repräsentativ zu ihrem Mobilitätsverhalten befragt.

Eine solide Infrastruktur für Bus und Bahn, eine steigende Anzahl von Fahrradfahrenden, stationäres und flexibles Car- und Bikesharing und digitale Ridepooling-Angebote: Alternativen zum privaten Pkw haben in Leipzig zu einer Veränderung im Mobilitätsverhalten geführt, schreiben die Forscher Lisa Ruhrort und Andreas Knie. Die Stadt habe das Potenzial, zum „Verkehrsparadies“ zu werden.

Die Coronakrise hat der deutschen Wirtschaft enorm den Wind aus den Segeln genommen. Stillstand halten hochindustrialisierte Systeme nicht lange aus. Eine gezielte Wirtschaftsförderung kann und muss helfen, damit Menschen weiter Arbeit haben und soziale und wirtschaftliche Systeme nicht noch größeren Schaden erleiden. Die Förderung der mobilitätsrelevanten Industrie ist hier ein guter Ansatz.

Eine der wenigen positiven Auswirkungen der Corona-Pandemie sieht man beim Blick aus dem Fenster: Die Straßen sind sichtlich leerer. Der Autoverkehr ist laut dem Institut der deutschen Wirtschaft seit März um 53,8 Prozent zurückgegangen, der Lkw-Verkehr um 26 Prozent. Diese neue Situation sehen viele Experten als Chance, Verkehrskonzepte schneller umzusetzen.

Das Verkehrswendebüro schlägt ein eigenes Reset-Programm der Verkehrswende durch den Bund vor, auf das sich die Kommunen bewerben können. Ziel des Programms ist es, die bereits geplanten und begonnenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise unter den neuen Umständen zu beschleunigen und damit nachhaltig Arbeitsplätze in der Verkehrsbranche zu sichern. Das Programm soll vier Handlungskonzepte haben. Mit einer Kombination aus finanziellen Absicherungen, Planungsunterstützung und neuen Gestaltungsräumen können die Kommunen die Krise als Chance für eine nachhaltige Verkehrslandschaft nutzen. Hierbei gilt es, bereits gemachte Erfahrungen und Ergebnisse vergangener Projekte zügig umzusetzen und auch in experimenteller Weise auszuprobieren.

Wie gehen wir mit Risiken um? Abwägung ist die Kunst der Stunde. Doch dies geschieht in unserer Gesellschaft auf höchst unterschiedliche Weise. Kein Politiker traut sich dieser Tage, etwas gegen die Warnungen der Virologen und Epidemiologen zu sagen oder gar durchzusetzen. Ob Ausgangssperren, Schulschließungen, Verbot von Kultur- und Sportveranstaltungen oder die Frage, wann Spielplätze wieder geöffnet werden können: Hinter diesen politischen Entscheidungen stehen die Aussagen der Virologen. Auch wir, die Normalbürger*innen, fügen uns und haben die Kontaktsperren und Abstandsmahnungen, das Händewaschen und Maskentragen schon fest im Alltag eingebaut. Weil wir und die Politiker*innen den Experten vertrauen, konnte die Zahl der Infizierten, Schwerstkranken und der Toten in Deutschland bisher eingedämmt werden. Die Gesellschaft ist offensichtlich zu ungeheuren finanziellen Opfern und Einschränkungen von Grundrechten bereit, um weitere Todesfälle zu vermeiden.

21. April 2020. Mit dem Fahrrad auf einer geschützten Fahrspur auf einer direkt zum Ziel führenden Straße unterwegs sein, das war jahrelang ein Traum von urbanen Alltagsradlern. Mehr Platz und vor allem mehr sicheren Platz für das umweltfreundliche und zugleich gesundheitsfördernde Verkehrsmittel wird seit vielen Jahren auch von Verkehrsplaner*innen gefordert. Neidvoll wird auf Kopenhagen und die niederländischen Vorreiterstädte Amsterdam, Groningen und Utrecht verwiesen. In jüngster Zeit machen Paris, Valencia, London und sogar Bogotá Furore, niemand hätte erwartet, dass diese Städte den Radverkehr zur Trumpfkarte im interurbanen Standortwettbewerb machen würden. In Deutschland aber wird um jeden Quadratmeter gekämpft, der für einen geschützten Radweg umgewidmet werden soll.

Berlin, 16.04.2020. Ride-Pooling-Dienste, die in einigen deutschen Städten auf einer digitalen Plattform Fahrten für mehrere Gäste anbieten, werden zu einem großen Teil von jungen Menschen als „Tür-zu-Tür“-Ergänzung zu Bus und Bahn genutzt. Knapp die Hälfte der Nutzenden mit einem Pkw im Haushalt könnte sich vorstellen, zukünftig auf das eigene Auto zu verzichten. Das sind die Ergebnisse einer Studie, die Forschende des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) erstmals auf Basis von Daten eines Anbieters ermitteln konnten.

Berlin, 26.03.2020. „Um die Verkehrswende in Deutschland zu erreichen, muss die Anzahl der Autos verringert und der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden. Das setzt viele Kommunen unter Druck, weil sie nicht wissen, wie sie das schaffen sollen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Für drei Kommunen sollen deshalb modellhaft Maßnahmenpakete entwickelt werden, die Akteure schulen und beim Erreichen der Ziele unterstützen.